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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Grölen Betrunkener, der schrille Ruf einer Frau aus einem Fenster oder das
Weinen eines Kindes - einmal hörten sie auch ein Lachen, ein Laut,
der in dieser Umgebung so deplaziert und falsch wirkte, dass Abu
Dun und er unwillkürlich im Schritt stockten und sich überrascht
ansahen. Doch diese Geräuschkulisse schien die allgegenwärtige
Stille eher zu betonen.
    Es war die Angst, begriff Andrej. Angst, die die Stadt fest in ihrem
Würgegriff hatte, und ganz allmählich das Leben aus ihr und ihren
Bewohnern herauspresste. Noch spürte man es nicht allzu deutlich,
aber Andrej war in zu vielen belagerten Städten und eingeschlossenen Burgen gewesen, um die Vorzeichen zu erkennen. Nichts deutete
darauf hin, dass die Stadt gerade eine Schlacht gewonnen und die
Angreifer zurückgeschlagen hatte. Denn die Menschen wussten nur
zu gut, dass der Krieg längst nicht entschieden war. Im nächsten
Morgengrauen würden die Türken erneut angreifen, und dann würden sie auch ihr schweres Kriegsgerät einsetzen, um die Mauern zu
zerstören, statt in verlustreichen Angriffen zu versuchen, sie zu erobern. Auch wenn es niemand zugeben würde: Die meisten Menschen hier spürten, dass Wien dem Untergang geweiht war. Und die
Totenfeier schien bereits begonnen zu haben.
    Obwohl es vieles zu bereden gab, schwiegen er und Abu Dun, während sie durch die stillen Straßen zu ihrer Herberge gingen, bis Abu
Dun auf dem freien Platz vor dem Stephansdom plötzlich stehen
blieb und Andrej am Arm zurückhielt.
    »Was…?«, fragte Andrej erschrocken. Er riss sich los und funkelte
Abu Dun verärgert an. Doch der Nubier machte nur eine rasche, fast
beschwörende Geste, still zu sein. Dann grinste er. »Ich glaube, du
wirst wirklich langsam alt, Hexenmeister«, sagte er.
»Wie meinst du das?«
    »Wir werden verfolgt«, antwortete Abu Dun. »Und zwar schon seit
einer geraumen Weile.«
Andrej musste sich mit aller Macht beherrschen, um nicht herumzufahren. Verstohlen blickte er sich um. Wer immer sie verfolgte,
verstand sein Handwerk. Selbst mit seinen übermenschlich scharfen
Sinnen konnte er nichts Verdächtiges entdecken, und er hörte auch
nicht den mindesten Laut. Trotzdem wusste er, dass Abu Dun sich
nicht getäuscht hatte. Er spürte die Blicke eines unsichtbaren Beobachters fast wie eine körperliche Berührung.
»Du hast Recht«, zischte er leise.
»Endlich gibst du es zu«, antwortete Abu Dun spöttisch. »Du wirst
alt.«
»Auf jeden Fall älter als du, wenn du so weitermachst«, grollte Andrej. »Einer von Salms Schergen?«
Abu Dun zuckte die Achseln. Die Vermutung war nahe liegend, aber sie hatten keinerlei Beweise. Und auch keinen wirklichen Grund
für diese Annahme, wie Andrej sich eingestehen musste. So oder so -
ihr Verfolger verhielt sich äußerst geschickt, denn obwohl Andrej
seine Blicke weiterhin deutlich spüren konnte, gelang es ihm nicht,
den Unbekannten zu entdecken.
Andrej schloss die Augen und lauschte in sich hinein. Er konnte die
Nähe Abu Duns spüren, so wie stets, seit auch der Nubier zu einem
Wesen seiner Art geworden war. Aber wenn jemand es fertig brachte, sich an ihn heranzuschleichen, ohne dass er es merkte, hatte er
allen Grund, besorgt zu sein.
Er machte zwei Schritte zurück, legte den Kopf in den Nacken und
tat so, als blicke er zu den gewaltigen Zwillingstürmen des riesigen,
strahlend weißen Gotteshauses hinauf. »Wo?«, raunte er.
Abu Dun deutete ein Achselzucken an. »Ich weiß es nicht«, antwortete er ebenso leise. »Das ist unheimlich. Ich spüre, dass da jemand
ist, aber ich kann nicht erkennen, wo.« Deutlich lauter fügte er hinzu:
»Und wenn du mit Engelszungen redest, Ungläubiger, ich werde
dieses heidnische Bauwerk nicht betreten. Allah würde meine Seele
in den tiefsten Pfuhl der Hölle verbannen.«
»Wo sie auch hingehört«, antwortete Andrej ebenso laut. Flüsternd
fügte er hinzu: »Schnappen wir ihn uns?«
Abu Dun lachte leise. »Was dachtest du? Falls du allerdings müde
bist, erledige ich das gern auch allein. Ein Mann in fortgeschrittenem
Alter muss mit seinen Kräften Haus halten, oder?« Er machte eine
Kopfbewegung zur Kirchentür hin. »Du könntest ein wenig beten
oder dieses wunderschöne Bauwerk betrachten.«
Statt zu antworten und noch mehr kostbare Zeit mit völlig unsinnigen Gesprächen zu verschwenden, wandte sich Andrej mit einem
Ruck um und entfernte sich nach links. Hinter ihm lachte Abu Dun
noch lauter und rief ihm eine Beleidigung in

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