Die Wiederkehr
seiner Muttersprache
hinterher. Andrej antwortete nicht, machte aber eine deutlich sichtbare, wegwerfende Geste. Er wusste, dass Abu Dun sich nun in die
entgegengesetzte Richtung entfernen würde; ein simpler, aber dennoch wirksamer Trick, der den Unbekannten zwang, sich für einen
von ihnen zu entscheiden oder die Verfolgung aufzugeben.
Andrej hatte den unheimlichen Fremden auf der Stadtmauer nicht
vergessen. Bisher war er aber zu erschöpft - und auch nicht in der
Stimmung - gewesen, Abu Dun von seinem unheimlichen Erlebnis
während der Schlacht zu erzählen. Er war fast sicher, dass es sich um
denselben Mann handelte, der nun sie beide verfolgte.
Abu Dun und er wurden nicht zum ersten Mal verfolgt, und sie verfuhren nicht zum ersten Mal auf diese Weise. Andrej entfernte sich
mit schnellen Schritten in die entgegengesetzte Richtung. Am Ende
der gewaltigen Kathedrale angekommen, bog Andrej nach rechts ab,
und Abu Dun würde es genau anders herum tun. Wem von ihnen der
Unbekannte auch immer folgte, er würde dem anderen geradewegs in
die Arme laufen.
Eine Gruppe von sieben oder acht betrunkenen Landsknechten überquerte lauthals singend und randalierend nur ein kleines Stück
von ihm entfernt den Platz. Die Männer waren offenbar bester Laune, zumindest schienen sie sich von der gedrückten Stimmung, die
vom Rest der Stadt Besitz ergriffen hatte, nicht anstecken zu lassen.
Andrej hörte sie früh genug, um mit einem raschen Schritt in den
Schatten eines der mächtigen Pilaster zurückzuweichen, die die
Flanken der Kathedrale stützten. Er wartete mit angehaltenem Atem,
bis die Männer an ihm vorbei und in einer der schmalen Gassen verschwunden waren, bevor er mit einem erleichterten Aufatmen aus
seiner Deckung heraustrat.
Das Nächste, was er spürte, war der beißende Stahl einer Messerklinge an der Kehle. »Eine falsche Bewegung, Giaur, und du
brauchst nicht mehr in diesen heidnischen Götzentempel zu gehen,
um deinem Gott zu begegnen«, flüsterte eine Stimme an seinem Ohr.
Abu Dun.
Andrej entspannte sich mit einem hörbar erleichterten Seufzer. Das
Messer wich jedoch nicht von seiner Kehle - Abu Dun verstärkte den
Druck noch, sodass ein einzelner roter Blutstropfen an seinem Hals
hinunterlief. »Lass den Unsinn!«, raunte er. »Findest du nicht, dass
wir im Moment Wichtigeres zu tun haben?«
»Nein«, antwortete der Nubier. Er ließ endlich das Messer sinken,
trat einen Schritt zurück und steckte den Dolch mit einem breiten
Grinsen ein, als Andrej sich zu ihm herumdrehte. »Der Kerl ist weg.«
»Weg?« Andrej vergaß für einen Moment alles, was er Abu Dun
hatte sagen wollen. »Was soll das heißen: weg?«
»Was es eben bedeutet.« Abu Dun zog eine Grimasse. »Weg.« Er
machte eine flatternde Handbewegung, wie um einen kleinen Vogel
nachzuahmen, der sich mit schwingenden Flügeln entfernt, und hob
in der gleichen Geste die Schultern. »In einem Moment war er noch
da - und im nächsten nicht mehr.«
Andrej überging den beißenden Spott in Abu Duns Stimme. Der
Ton zwischen ihnen war in den zurückliegenden Wochen zunehmend
schärfer geworden, und nicht nur ihm war klar, dass es über kurz
oder lang zu einer Auseinandersetzung kommen musste. Aber jetzt
war nicht der richtige Moment dafür. »Was soll das bedeuten?«, beharrte er. »Willst du mir erzählen, er hätte sich in Luft aufgelöst?«
»Wenn dir dieser Ausdruck lieber ist…« Abu Dun hob abermals die
Schultern und sah ihn gleichmütig an.
Andrej setzte zu einer wütenden Antwort an, aber dann beherrschte
er sich im letzten Moment und wiederholte seine Frage mit ebenso
beherrschter wie auch um Sachlichkeit bemühter Stimme: »Was soll
das heißen? Niemand kann so einfach verschwinden, wenn du ihn
einmal bemerkt hast. Oder ich.«
»Dieser Jemand schon.« In Abu Duns Augen blitzte es amüsiert
auf, aber nur für einen Moment, dann wurde er plötzlich sehr ernst.
»Ich weiß nicht, wer er ist, oder was er von uns will, aber er ist ziemlich gut in dem, was er tut.«
Andrej schwieg. Er musste wieder an die unheimliche Gestalt denken, die ihn während der Schlacht beobachtet hatte. Er schloss mehr
als einmal die Augen und lauschte mit seinen übermenschlich scharfen Sinnen in die Nacht hinein. Er konnte nichts wahrnehmen. Und
dennoch: Während des gesamten Weges wurde Andrej das Gefühl,
aus dem Verborgenen heraus angestarrt und belauert zu werden,
nicht mehr los. Er war froh, als sie endlich die Herberge erreichten,
in
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