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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der sie Quartier bezogen hatten. Wäre er nicht zu stolz gewesen es
zuzugeben, hätte er sich eingestehen müssen, dass ihn die unheimliche Begegnung in Furcht versetzt hatte.
Der Gasthof war gut besucht. Es roch nach billigem Wein, Schweiß
und dem Ruß der Kerzen, die in von der Decke herabhängenden
Leuchtern steckten. Stimmengewirr und grölendes Lachen schlug
ihnen entgegen, als sie eintraten, aber einige der Männer saßen auch
schweigend zusammen oder tuschelten leise miteinander. Manche
hockten nur da und stierten blicklos vor sich hin. Die meisten trugen
schmutzige Verbände. Auch hier hatte sich die Angst als uneingeladener Gast mit an die Tische gesetzt. Andrej blickte sich einen Moment lang um, dann deutete er auf einen der wenigen noch freien
Tische in der Ecke.
Die Gespräche wurden leiser, und viele der Zecher starrten sie an,
während Abu Dun und er sich dem Tisch näherten. Ihr Ruf war ihnen
anscheinend vorausgeeilt. Aber vielleicht war es auch Abu Duns beeindruckende Gestalt, die die Männer in ihren Bann zog. Selbst ohne
seinen gewaltigen Turban maß der Nubier knapp zwei Meter. Mit der
kunstvoll gewickelten Kopfbedeckung war er so groß, dass er es sich
schon seit Jahren zur Angewohnheit gemacht hatte, leicht vornübergebeugt zu gehen, um nicht ständig mit dem Kopf gegen die niedrigen Zimmerdecken zu stoßen, die in fast allen Gebäuden diesseits
des Bosporus üblich waren.
Zum ersten Mal, seit er den Nubier kannte, der vom Todfeind über
einen widerwilligen Verbündeten zum Freund und schließlich zu
einem Wesen wie er eines war, geworden war, suchte Andrej nach
Zeichen von Schwäche an ihm. Aber er wurde nicht fündig. Trotz
seiner schleppenden Schritte und der hängenden Schultern strahlte
Abu Dun eine Kraft und Energie aus, die vermutlich nicht nur Andrej
spürte.
Er selbst fühlte sich matt, erschöpft und ausgelaugt, wie seit langem
nicht mehr, doch dem Nubier schienen die Anstrengungen des zurückliegenden Tages nicht das Geringste ausgemacht zu haben. Fast
sah es so aus, als hätte er aus der brutalen Schlacht und dem nicht
enden wollenden Kämpfen und Töten Kraft gewonnen. Erschrocken
verscheuchte Andrej den Gedanken. Der Verdacht war ihm nicht
zum ersten Mal gekommen, aber die Geschehnisse der zurückliegenden Stunden hatten ihm neue Nahrung gegeben.
Sie hatten den halben Weg zum Tisch zurückgelegt, als das geschah, was Andrej insgeheim befürchtet hatte: Ein offensichtlich
bereits stark angetrunkener Mann stemmte sich mit ungeschickten
Bewegungen von seinem Stuhl in die Höhe, verlor dabei das Gleichgewicht und rempelte Andrej an. Andrej hätte dem Zusammenprall
mühelos ausweichen können, denn nicht nur seine Sinne waren ungleich schärfer, auch seine Reaktionen übertrafen die eines normalen
Menschen. Aber er wusste, dass ihn der Bursche ganz und gar nicht
zufällig angerempelt hatte. Andrej wäre der Auseinandersetzung
ausgewichen, hätte er eine Möglichkeit dazu gesehen.
»He da! Pass doch auf!«, lallte der Betrunkene. Er schaute Andrej
aus trüben, blutunterlaufenen Augen an, dann erst erkannte er, wen er
vor sich hatte. Der Anblick schien ihn schlagartig nüchtern werden
zu lassen. Er hatte Schritte gehört und jemanden hinter sich gespürt
und Lust auf einen Streit oder eine Schlägerei gehabt, ohne genau zu
wissen, mit wem er sich anlegen würde. Jetzt machte die Streitlust in
seiner Mimik schlagartig Schrecken Platz, jäher Bestürzung und
dann blanker Angst.
»Ver… verzeiht«, stammelte er und wich hastig in die Gruppe der
anderen Zecher zurück. »Ich… ich habe Euch nicht sofort erkannt,
Herr. Es… es tut mir Leid.«
»Das glaube ich sogar«, vermutete Abu Dun. »Ich nehme an, du
wolltest eigentlich mich anrempeln?« Er entblößte die Zähne zu einem strahlend weißen Grinsen, bei dessen bloßem Anblick auch
noch das allerletzte bisschen Farbe aus dem Gesicht des unglückseligen Mannes wich, der eine harmlose Wirtshausschlägerei hatte anfangen wollen und sich nun dem vermeintlich sicheren Tod gegenübersah. »Wieso holst du das Versäumte nicht nach? Ich gebe dir drei
Schläge vor, ohne mich zu wehren.«
Andrej brachte ihn mit einem mahnenden Blick zum Schweigen,
dann drehte er sich betont langsam wieder um und lächelte zum Zeichen, dass er über den Zwischenfall nicht zornig war. Aber selbst
damit schien er eher das Gegenteil dessen zu erreichen, was er beabsichtigt hatte. Auch die Gesichter der anderen Männer verrieten

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