Die Wiederkehr
zurück und verschränkte die dürren Arme vor der Brust. »Nur
eine Frage noch, wenn Ihr gestattet. So willkommen uns Eure Hilfe
ist, frage ich mich doch nach dem Grund. Ihr gehört nicht zur kaiserlichen Armee, und die meisten Fremden haben Wien angesichts der
drohenden Belagerung verlassen. Ihr aber seid hergekommen, um bei
der Verteidigung zu helfen.«
»Es gibt einen Grund«, sagte Andrej. Diesmal war es Abu Dun, der
ihm einen warnenden Blick zuwarf. »Die Truppen des Sultans haben
mein Dorf niedergebrannt, die meisten meiner Angehörigen getötet
und die, die sie nicht ermordet haben, in die Sklaverei verschleppt.
Ich habe ihm Rache geschworen, und da auch Abu Dun ein ähnliches
Schicksal erlitten hat, bekämpfen wir das türkische Heer, wo immer
sich die Gelegenheit bietet.«
»Ein Racheschwur, so.« Von Salm nickte bedächtig. Er seufzte.
»Nun, das ist Eure Angelegenheit. Aber lasst mich Euch etwas mit
auf den Weg geben, Andrej, nicht als Heerführer, sondern als
Freund: Rache ist ein schlechter Ratgeber.« Er sah Andrej erwartungsvoll an und leerte seinen Weinbecher.
»Es ist allein Eure Entscheidung«, fuhr er fort. »Aber gestattet mir
noch eine ganz offene Frage: Ist Rache wirklich der einzige Grund,
aus dem ihr nach Wien gekommen seid? Ich habe gehört, dass Ihr
jemanden sucht. Ihr habt Erkundigungen über einen gewissen…« Er
tat so, als müsse er einen Moment angestrengt nachdenken. »…
Franz Breiteneck eingeholt, aber bislang offenbar erfolglos.«
Andrej lächelte. »Ihr seid gut informiert, Graf«, sagte er. »Es
stimmt, wir suchen Breiteneck. Er soll ein bedeutender Arzt sein und
sogar einige Zeit bei dem berühmten Paracelsus gelernt haben.«
»Möglich. Darüber weiß ich nichts. Aber sein Ruf ist nicht unumstritten. Ich habe Stimmen gehört, die behaupten, dass er sich mit
dunklen Mächten eingelassen hat und sich deshalb verborgen hält.«
Er hob seinen Becher, stellte fest, dass er leer war, und stellte ihn
zurück, ohne sich nachgeschenkt zu haben. »Aber wenn Ihr ihn wirklich finden wollt, so kann ich Euch vielleicht behilflich sein. Ich
werde Euch Nachricht geben, wenn ich etwas erfahre.«
»Ich weiß euer Angebot zu schätzen«, antwortete Andrej zögernd.
»Aber es wäre vermessen von uns, Euch damit zu behelligen. Ein
Mann wie Ihr hat gewiss Wichtigeres zu tun, als zwei Söldnern bei
ihren Angelegenheiten zu helfen.«
»Noch dazu zwei Söldnern, die ohne Sold kämpfen«, gab von Salm
amüsiert zu bedenken. Er schüttelte den Kopf, als Andrej antworten
wollte. »Nein, macht Euch keine Gedanken, Andrej. Nach allem, was
Ihr und Euer Freund für diese Stadt getan habt, bin ich froh, Euch
ebenfalls einen kleinen Gefallen erweisen zu können. Und wer weiß -
möglicherweise könnt Ihr mir auch noch behilflich sein.« Er stand
auf. »Aber darüber sollten wir sprechen, wenn es so weit ist. Für den
Moment bleibt mir nur, Euch noch einmal für Eure Hilfe zu danken.
Möge Gott Euch schützen und uns helfen, den Feind auch weiterhin
zurückzuschlagen.«
Wien hatte sich verändert, seit die Belagerung begonnen hatte, und
diese Veränderung war noch lange nicht abgeschlossen. Von Salm
hatte ihnen angeboten, ihnen auch für den Rückweg eine Eskorte
mitzugeben, doch Andrej - und vor allem Abu Dun - hatten darauf
bestanden, sich allein auf den Weg zu machen.
Nachdem sie die ersten zwei oder drei Dutzend Schritte getan hatten, kamen Andrej Zweifel, ob sie wirklich gut beraten gewesen waren, von Salms Angebot abzulehnen. Der Wandel Wiens war besonders nach Einbruch der Dunkelheit überdeutlich spürbar. In der Ferne
glühte der Nachthimmel rot vom Widerschein der zahllosen Feuer im
türkischen Heerlager, doch die Stadt selbst schien dunkler als sonst
zu sein. Nur hinter sehr wenigen Fenstern brannte Licht. Obwohl es
noch nicht sehr spät war, lag die Straße wie ausgestorben da. Andrej
musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie sich in einer der größten
Städte Europas befanden. Natürlich waren zahlreiche Einwohner vor
dem herannahenden Krieg geflohen, sodass viele Häuser tatsächlich
leer standen, aber das war es nicht allein. Selbst in den erleuchteten
Häusern wirkte das Licht gedämpft, vielfach waren die Fenster auch
mit Tüchern verhängt oder gar mit Brettern vernagelt.
Und es war still, viel zu still, so als hätte sich ein Leichentuch über
die Stadt ausgebreitet, das nicht nur das Licht, sondern auch jeden
Laut erstickte. Gelegentlich drang aus den Schänken das
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