Die Wiederkehr
Schoß gebettet und das Gesicht voller Blut.
Es war dieselbe Zelle, in der Abu Dun untergebracht gewesen war,
als von Salms Schergen ihn das erste Mal gefangen genommen hatten, und Andrej war sicher, dass Abu Dun mit den gleichen eisernen
Ringen an die Wand gefesselt worden war. Ein zweiter Satz ebenso
massiver und ebenso grausam eng angelegter Eisenringe band ihn in
derselben unbequemen Haltung wie den Nubier an den feuchten
Stein. Die Zelle war eindeutig auf Zuwachs gebaut: Andrej hatte in
den zurückliegenden zwei oder drei Stunden Zeit genug gehabt, sich
jeden Quadratzentimeter der Wände gründlich anzusehen. Es gab
noch Platz für sechs weitere Gefangene hier unten.
»Ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen«, drang Abu Duns
Stimme in seine trüben Gedanken.
Andrej versuchte den Kopf zu drehen, um den Nubier anzublicken,
aber die Bewegung wurde von dem breiten Eisenband aufgehalten,
dass seinen Hals an die Wand fesselte. »Wieso?«
»Wegen Frederic«, antwortete Abu Dun. »Du hattest Recht, was
ihn angeht. Wir sind ihm nicht gewachsen.« Er seufzte. »Auch wenn
ich gestehen muss, dass wir es ihm ziemlich leicht gemacht haben.
Das Klima in diesem kalten Land muss mir wohl aufs Gehirn geschlagen sein. Es gehört schon eine große Portion Dummheit dazu,
zweimal auf den gleichen Trick hereinzufallen.«
»Hör auf, dir selbst Leid zu tun«, sagte Andrej. »Denk lieber darüber nach, wie wir hier herauskommen.«
»Das habe ich«, antwortete Abu Dun. »Vergiss nicht, dass ich dieses Zimmer schon einmal belegt habe. Ich hatte also Zeit genug, mir
einen Plan auszudenken.«
»Und?«, fragte Andrej.
»Wir warten ab, bis unsere Fesseln durchgerostet sind«, schlug Abu
Dun vor. »Oder bis Soliman die Stadt erobert hat und uns befreit.«
»Du hast also keinen Plan«, seufzte Andrej.
»Natürlich nicht«, antwortete Abu Dun. »Diese Fesseln würden
selbst einen wütenden Stier halten. Und ich fürchte beinahe, unser
Freund, der Dompropst, wird nicht abwarten, bis Soliman kommt
oder ein Lösegeld für uns anbietet.«
Andrej konnte den bitteren Galgenhumor des Nubiers nicht mehr
verstehen. Abu Dun und er waren nicht das erste Mal in einer Lage,
die jeder andere als aussichtslos bezeichnet hätte, aber er konnte sich
nicht erinnern, dass es jemals so schlimm gewesen war. Was ihm
Sorgen bereitete, das waren weder die eisernen Fesseln noch die meterdicken Mauern oder die schwer bewaffneten Wachen, die auf der
anderen Seite der Tür warteten. Mit all dem konnte er umgehen.
Doch diesmal wussten ihre Bewacher, wer sie waren und was sie
waren. Sie hatten ihren größten Vorteil verloren, und das mochte
durchaus den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.
Schwere Schritte näherten sich der Tür, dann konnten sie hören,
wie ein Schlüssel gleich mehrmals im Schloss herumgedreht und
anschließend noch ein äußerst massiver Riegel zurückgeschoben
wurde.
»Zumindest scheinen sie einen gehörigen Respekt vor uns zu haben«, witzelte Abu Dun. Andrej sparte es sich, darauf zu antworten.
Die Tür wurde geöffnet und ein halbes Dutzend Soldaten trat ein.
Zwei von ihnen machten Abu Duns Hände los und banden sie sorgsam auf dem Rücken wieder zusammen, dann fesselten sie auch seine Fußgelenke mit einem Strick, der so kurz war, dass er allenfalls
trippelnde Schritte machen konnte. Erst danach lösten sie den eisernen Ring, der Abu Duns Hals an die Wand presste.
Nachdem sie den Nubier aus der Zelle geführt hatten, verfuhren sie
auf die gleiche Weise mit Andrej, und kurze Zeit später wurden sie
die Treppe hinauf und auf den Hof geführt - in großem Abstand und
jeder von gleich vier Männern begleitet, die sie mit gezückten Waffen eskortierten.
Auf der anderen Seite des Torgewölbes warteten zwei massiv vergitterte Wagen auf sie. Andrej wurde in den einen, Abu Dun in den
anderen gestoßen, und die Fahrt ging los, kaum dass die Türen hinter
ihnen abgeschlossen worden waren. Ihre Eskorte saß auf und folgte
ihnen in geringem Abstand.
So schnell es die schmalen Straßen zuließen, ging die rasende Fahrt
durch die nächtliche Stadt. Andrej hatte durch das schmale Fenster
keinen besonders guten Blick nach draußen, doch der Weg, den sie
nahmen, kam ihm schon bald bekannt vor. Noch bevor sie die halbe
Strecke zurückgelegt hatten, wusste er, was ihr Ziel war. Der Dom.
Er täuschte sich nicht. Nach kaum einem Bruchteil der Zeit, die sie
tagsüber für die Strecke gebraucht hätten, näherten
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