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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verstand er den
Gleichmut, mit dem Menschen, die nur eine so kurze Spanne zu leben hatten, dieses Leben wegwarfen, weniger. Er mied Gegenden
wie diese aus dem Wissen, nur allzu schnell in eine Situation geraten
zu können, in der er gezwungen war, seinerseits zu töten.
Jemand starrte ihn an.
Andrej blieb stehen und blickte sich um. Gleichzeitig schloss er die
Hand um den Griff des Damaszenerschwerts an seinem Gürtel. Sein
Herz begann schneller zu schlagen. Angestrengt versuchte er, die fast
schon greifbare Dunkelheit ringsum mit Blicken, und die nahezu
vollkommene Stille mit den Ohren zu durchdringen. Nichts. Er sah
nichts, er hörte nichts, aber er spürte, dass er belauert wurde. Die
Augen, die ihn aus den Schatten heraus belauerten, gehörten keinem
Tagedieb, den seine wertvolle Kleidung angelockt haben mochte
oder der Griff des kostbaren Schwerts. Diese Blicke waren anders.
Gieriger.
Und es war nicht das erste Mal, dass er sie spürte.
»Was ist los?«, erkundigte sich Marco. »Kommt. Es ist nicht mehr
weit.« Er zupfte Andrej am Ärmel, um ihn zum Weitergehen zu bewegen, und trat zugleich immer unruhiger von einem Bein auf das
andere. Vielleicht spürte er die Gefahr ja ebenso deutlich wie Andrej.
Aber vielleicht hatte seine Unruhe ja auch einen ganz anderen
Grund…
»Sag mir jetzt die Wahrheit, Junge«, flüsterte Andrej, während sein
Blick weiter aufmerksam über die Schatten in der finsteren Gasse
tastete. »Hat man dich geschickt, um mich in eine Falle zu locken?«
Marco wollte antworten, aber Andrej schnitt ihm mit einer raschen
Geste das Wort ab, und fuhr mit leicht erhobener, trotzdem aber besänftigender Stimme fort: »Du musst keine Angst haben. Ich werde
dir nichts tun. Aber wenn es so ist, dann sagst du deinen Freunden
besser, dass sie verschwinden sollen. Du weißt, wer ich bin.«
Einen Moment lang fragte er sich, ob Marco möglicherweise nicht
nur wusste, wer er war, sondern auch, was er war. Aber dann blickte
er in die Augen des Jungen, und was er darin las, das war ein Ausdruck völliger Verständnislosigkeit.
»Herr?«, murmelte Marco verstört.
»Schon gut«, antwortete Andrej. Er lächelte. »Nimm mich nicht so
ernst. Ich bin betrunken.« Was der Wahrheit entsprach. Obgleich sie
mittlerweile ein gehöriges Stück des Weges an der frischen Luft zurückgelegt hatten, spürte er die Wirkung des Weins immer stärker.
»Du sagst, dass Breiteneck sich versteckt hält«, stellte Andrej fest,
während er weiterhin mit dem Knauf seines Schwerts spielte. Der
kalte Stahl, dessen Berührung ihm sonst immer ein Gefühl von Sicherheit und Stärke verliehen hatte, fühlte sich nun unangenehm in
seiner Hand an. »Vielleicht hat er Vorkehrungen zum Schutz vor
unwillkommenen Besuchern getroffen? Es wäre vielleicht besser,
wenn wir morgen bei Tageslicht wiederkämen. Außerdem: Die Fragen, die ich Breiteneck stellen will, interessieren auch meinen Gefährten.«
Marco wirkte irritiert, und Andrej konnte das gut verstehen. Seine
Worte klangen wie die eines Feiglings.
»Breiteneck hat Helfer, die Augen und Ohren für ihn offen halten«,
bestätigte Marco. »Wenn einer von ihnen erfährt, dass sich ein
Fremder heute Nacht gar nicht weit von seinem Haus entfernt herumgetrieben hat, dann wird er sich womöglich ein anderes Versteck
suchen, und Ihr werdet ihn morgen nicht mehr finden.«
Und außerdem bekomme ich meine Belohnung nicht. Das sprach er
nicht laut aus, aber Andrej las die Worte deutlich in seinen Augen. Er
lächelte, und Marco begann sich wieder zu entspannen.
Sie gingen ein Stück weiter die Gasse entlang, bis sie an eine Gabelung gelangten, wo der Junge nach rechts abbog, ehe er nach einigen
Dutzend Schritten durch einen Torbogen trat, hinter dem sich ein
verdreckter Hof erstreckte. Andrej folgte ihm durch das niedrige,
gemauerte Gewölbe, allerdings erst, nachdem er einen sichernden
Blick nach rechts und links geworfen und sich davon überzeugt hatte,
dass ihnen auch wirklich niemand folgte. Die unheimliche Präsenz
des Beobachters war immer noch da, aber es war ihm nicht möglich,
ihn zu lokalisieren. Andrej gestand sich ein, dass ihm nichts anderes
übrig blieb, als abzuwarten, was der andere tat.
Er hörte ein leises, für einen normalen Menschen vermutlich gar
nicht mehr wahrnehmbares Rascheln hinter und über sich, fuhr herum und griff in der gleichen Bewegung nach seinem Schwert, doch
selbst seine unglaublich schnellen Reaktionen waren diesmal nicht

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