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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wurden.
Es war der Tod.
Andrej spürte, wie sinnlos jeder Widerstand war. Alles wurde leicht
um ihn herum. Der grausame Schmerz, der seinen Körper von innen
heraus verbrannte, war noch immer da, aber er verlor von Augenblick zu Augenblick mehr an Bedeutung für ihn.
Noch immer drangen Kampfgeräusche an sein Ohr: das Klirren von
Stahl, Schreie, Poltern - fern und bedeutungslos. Alles wurde unwirklich. Der Schmerz verblasste.
Dann näherten sich Schritte, Stoff raschelte. Das Gefühl jener
fremden und zugleich auf so unheimliche Weise vertrauten Präsenz
wurde stärker. Andrej fühlte, wie sich jemand an den Stricken zu
schaffen machte, die seine Hände auf dem Rücken zusammenhielten.
Kalter Stahl berührte seine Gelenke. Im nächsten Moment wurden
seine Fesseln durchschnitten. Er war frei.
Dennoch wurde er weiter und weiter in den klaffenden Schlund in
seinem Inneren gezogen. Er wusste nicht mehr, wo er war.
Wie von fern bemerkte er, dass er gepackt und grob herumgedreht
wurde. Er versuchte die Augen zu öffnen, und zu seiner eigenen Überraschung gelang es ihm sogar. Aber seine Augen konnten nicht
mehr richtig sehen. Alles, was er erkennen konnte, waren harte
Schatten und Bereiche unterschiedlich tiefer Grautöne. Jemand beugte sich über ihn, und wieder hatte er das Gefühl von etwas Vertrautem, das sich ihm näherte. Doch alles, was er wahrnehmen konnte,
war ein verschwommener Umriss.
Eine Stimme drang an sein Ohr, dann machte sich dieselbe Hand,
die seine Fesseln durchschnitten hatte, an seiner Brust zu schaffen.
Andrej schrie gequält auf, als der Armbrustbolzen mit einem brutalen Ruck herausgezogen wurde. Der Schmerz flammte noch einmal
zu hellerer Glut auf.
»Oh, nein, mein alter Freund«, sagte eine leise, sonderbar vertraut
klingende Stimme. »So leicht kommst du mir nicht davon.«
Es war das Letzte, was er hörte, bevor ihm endgültig die Sinne
schwanden.
    Kalter Wind strich wie eine lindernde Hand über Andrejs Stirn, als
er erwachte. Er befand sich im Freien. Das blassrote Licht, das er
sah, war das der Sonne, die durch seine geschlossenen Lider drang.
Was er im ersten Moment als wohltuende Kühle empfunden hatte,
wurde schon im zweiten zu unangenehmer Kälte, die in seine Glieder
biss. Sein Hinterkopf lag auf hartem Kopfsteinpflaster, und dem Geruch nach zu urteilen, der ihm in die Nase stieg, war sein Kopf das
mit Abstand Sauberste, was dieses Pflaster in den letzten Jahren berührt hatte. Er tat weh, und er war längst nicht das einzige Körperteil,
das Andrej schmerzte.
    Er versuchte sich zu erinnern, wie er hierher gekommen war, aber
es gelang ihm nicht. So wenig, wie er sich im ersten Moment daran
erinnern konnte, was am vergangenen Abend geschehen war.
    Aufgeregte Stimmen drangen durch den Nebel aus Schmerz und
Benommenheit, dann hörte er schwere Schritte, die rasch und zielgerichtet in seine Richtung steuerten. Vielleicht war es allmählich an
der Zeit, sich von seinem ohnehin nicht besonders bequemen Nachtlager zu erheben.
    Bevor er noch dazu kam, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen
oder auch nur die Augen zu öffnen, trat ihm jemand so hart in die
Seite, dass ihm die Luft wegblieb. »Wach auf, du versoffenes
Schwein!«, polterte eine raue Stimme.
    Widerwillig schlug Andrej die Augen auf. Wie er vermutet hatte,
war es bereits hell geworden, wenn auch nicht vollständig. Eine milchige Sonne, die noch nicht die Kraft hatte, den Morgendunst zu vertreiben, war über den Dächern aufgestiegen. In den Geruch nach
Pferdemist, menschlichen Ausscheidungen und Erbrochenem, der
Andrej einhüllte, mischte sich ein leichter Brandgeruch, und über
dem allgemeinen Stimmengewirr und dem gedämpften Kichern einiger Frauen- und Kinderstimmen glaubte er fernen Kampflärm zu
vernehmen.
    »Was ist los mit dir, Kerl? Bist du so besoffen, dass du das Gehör
verloren hast, oder liebst du es einfach, getreten zu werden?«
Obwohl Andrej nicht einmal hinsah, konnte er spüren, wie der
Mann zu einem neuerlichen und diesmal wahrscheinlich noch weit
härteren Tritt ausholte. Rasch drehte er den Kopf und sah zu dem
breitschultrigen, in eine zerschlissene Uniform gehüllten Burschen
hoch, der ihn auf so unsanfte Art geweckt hatte. Der Mann hatte tatsächlich ausgeholt, um ihm in die Rippen zu treten, doch als er Andrejs Blick begegnete, erstarrte er mitten in der Bewegung. Einen
Moment lang stand er nur auf einem Bein balancierend da, dann fing
er sich wieder und gewann zumindest einen Teil

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