Die Wiederkehr
seiner Selbstsicherheit zurück.
»Steh endlich auf!«, grollte er. »Es mag ja weit gekommen sein mit
dieser Stadt, aber so schlimm, dass die Betrunkenen auf den Straßen
schlafen müssen, ist es noch nicht. Wenn du Geld für Wein hast,
dann hast du auch Geld für ein Zimmer.«
Er deutete heftig gestikulierend auf das schäbige Gebäude, in dessen Rinnstein Andrej aufgewacht war, und als Andrejs Blick seiner
Geste folgte, erkannte er es zu seiner Überraschung als den Goldenen
Eber wieder, das Gasthaus, in dem Abu Dun und er seit ihrem Eintreffen in Wien übernachtet hatten.
Unsicher drehte er sich weiter um, stemmte sich halb in die Höhe
und stand schließlich ganz auf, was ihm nicht nur unerwartet große
Mühe bereitete, sondern auch von einem so heftigen stechenden
Schmerz in der Brust begleitet wurde, dass er um ein Haar laut aufgeschrien hätte. Noch nicht ganz aufgestanden, erstarrte Andrej mitten in der Bewegung, sah an sich hinab und riss dann ungläubig die
Augen auf, als er den frischen Blutfleck auf seinem Wams erblickte.
»Bist du verletzt?«, fragte der Mann. In seiner Stimme lag kein
Mitgefühl. Mit jedem Moment, der verging, schien ihm deutlicher zu
werden, dass er sich möglicherweise mit dem Falschen angelegt hatte.
Andrej nahm die Furcht in seinem Blick jedoch nicht zur Kenntnis.
Unsicher, zitternd, hob er die Hand und tastete mit den Fingerspitzen
über die dunkelrote Stelle auf seinem Wams. Die Berührung tat weh.
Das Blut war feucht und warm.
Plötzlich kamen die Erinnerungen an die zurückliegende Nacht.
Von einem Augenblick auf den anderen erinnerte er sich an alles:
Marco, die Falle, Breiteneck - und den unheimlichen Fremden…
Andrej richtete sich mit zusammengebissenen Zähnen vollends auf
und sah sich dann mit wilden Blicken um. Wo war Abu Dun?
»Soll ich dich zum Spital bringen?«, erkundigte sich der Mann.
Vielleicht war er mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass er
sich geirrt und statt des vermeintlich Betrunkenen einen Mann getreten hatte, der beim Kampf auf der Stadtmauer verletzt worden war
und sich gerade noch bis hierher geschleppt hatte, bevor er zusammengebrochen war.
Andrej missachtete ihn weiter, presste die linke Hand gegen die
schmerzende Brust und drehte sich rasch einmal im Kreis.
Die Bewegung führte dazu, dass ihm schwindelig wurde, aber er
sah dennoch zweierlei: Zum einen, dass er nicht allein auf der Straße
war. In einigen Schritten Abstand hielten sich ein paar junge Frauen
auf, die hinter vorgehaltener Hand miteinander tuschelten und kicherten und mit einer Mischung aus Verachtung und unverhohlener
Neugier zu ihm herübersahen. Hinter dem einen oder anderen Rock
lugte auch ein vorwitziges Kindergesicht hervor. Andrej bemerkte
auch einige wenige Männer, die zumeist mit finsteren Gesichtern zu
ihm hinsahen.
Das war die eine Erkenntnis. Die andere war, dass Abu Dun nicht
da war.
Andrej spürte, wie Panik ihn überfiel. Er war nahe daran, blindlings
loszulaufen und nach Abu Dun zu suchen. Aber dann behielt die
Vernunft im letzten Moment doch die Oberhand.
Statt noch mehr unnötiges Aufsehen zu erregen, atmete er tief ein,
richtete sich vollends auf und nahm die Hand herunter. Seine Finger
waren nass und rot.
»Ist auch wirklich alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Wachmann.
»Ja«, antwortete Andrej. »Das ist nur ein Kratzer. Und danke für
Eure Hilfe.« Er drehte sich auf dem Absatz herum, ließ den vollkommen verdutzten Mann einfach stehen und betrat mit schnellen
Schritten den Goldenen Eber.
Im Inneren des Gasthauses herrschte noch tiefste Finsternis, doch
da Andrejs Augen viel schärfer waren als die eines Sterblichen, hatte
er keine Mühe, sich zurechtzufinden und dem Durcheinander aus
Tischen und kreuz und quer stehenden Bänken und Stühlen auszuweichen.
Nicht alle Zecher hatten es in der vergangenen Nacht noch nach
draußen geschafft. Ein mehrstimmiges betrunkenes Schnarchen erfüllte die Luft, und Andrej trat auf mindestens eine Hand, deren Besitzer sich unter dem Tisch zusammengerollt hatte, um zu schlafen.
Als er die Treppe ins Obergeschoss erreichte, in dem sich die stinkenden Löcher befanden, die Malik als seine Gästezimmer bezeichnete, war der Schmerz in seiner Brust so gewaltig geworden, dass er
nur noch stark nach vorne gebeugt gehen konnte. Seine Hand hinterließ einen schmierigen Abdruck auf der Wand, als er die Tür zu seinem und Abu Duns Zimmer aufstieß und hineinstolperte.
Verglichen mit den übrigen
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