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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dieser Wand, Andrej, liegt vielleicht das größte Geheimnis
der Stadt.« Er brach ab, sah kurz über die Schulter zu Andrej zurück
und lächelte knapp. »Nein, verzeiht«, entschuldigte er sich. »Ich
werde pathetisch. Wien hat sicher größere Geheimnisse und auch
finsterere, aber hinter dieser Wand liegt womöglich der Schlüssel zu
unser aller Rettung. Oder unserem Untergang.«
»Ein geheimer Gang, der aus der Stadt hinausführt?«, vermutete
Andrej,
»Oh, davon gibt es viele«, erwiderte von Salm. »Diese Katakomben
sind gewaltig. Niemand weiß genau, wie groß sie wirklich sind, und
wohin all diese Gänge und Stollen führen. Ich allein weiß von mindestens einem Dutzend geheimer Wege aus der Stadt. Und das sind
gewiss nicht alle.«
»Ihr plant einen Ausfall, um das türkische Heer überraschend anzugreifen?«
»Das wäre glatter Selbstmord, oder?« Von Salm schüttelte den
Kopf. »Sie sind uns zehn zu eins überlegen - was die Zahl angeht. An
Kampfkraft und Entschlossenheit sicher noch um ein Mehrfaches.
Nein. Ein Ausfall wäre Wahnsinn.«
»Was dann?«, fragte Andrej.
»Ich bin im Besitz von Plänen«, erklärte von Salm ohne ihn anzusehen. »Sehr alten, aber auch sehr genauen Plänen. Hinter dieser
Wand dort beginnt ein Gang, der bis zu einem kleinen Hügel außerhalb der Stadt führt. Einem ganz speziellen Hügel, Andrej. Man hat
von dort aus einen ausgezeichneten Blick über die östliche Mauer
und das Osttor. Deshalb hat Sultan Soliman ihn auch avisgesucht, um
sein Zelt darauf aufzuschlagen.«
Er wandte sich nun doch zu Andrej um und sah ihn ernst an. »Ihr
habt mich gefragt, was ich für das Leben Eures Freundes und Eurer
beider Freiheit verlange, Andrej. Ich will es Euch sagen: Heute
Nacht, falls wir diesen Tag überstehen und sie noch einmal zurückschlagen können, werdet Ihr diesem Gang ins Lager der Türken folgen und Sultan Soliman töten!«
    Eine gute Weile später kehrten sie in von Salms provisorisches
Hauptquartier zurück. Der Graf hatte offenbar beschlossen, seine
Worte nicht weiter zu erläutern, denn er hatte auf dem Rückweg
kaum noch etwas gesagt. Auch während der anschließenden Kutschfahrt war er ungewohnt einsilbig gewesen.
    Andrej hatte genug mit seinen eigenen Gedanken zu tun - die sich
allerdings weit mehr um Abu Dun und den geheimnisvollen Fremden
im grauen Mantel drehten als um von Salms Forderung oder die allgemeine militärische Lage der Stadt. Er hatte zwei oder drei Mal aus
dem Fenster gesehen, während die Kutsche sich dem kleinen Stadtpalais näherte, das von Salm für seine Zwecke beschlagnahmt hatte,
und die schwarzen Rauchwolken, die noch immer im Osten über der
Stadtmauer emporstiegen, redeten eine sehr deutliche Sprache. Einmal glaubte er das dumpfe Krachen einer Explosion zu hören, war
aber nicht ganz sicher.
    »Ich habe ein Quartier in der Nähe meiner eigenen Unterkunft für
Euch vorbereiten lassen«, sagte von Salm, als sie ihr Ziel erreicht
hatten und ausstiegen. »Leider muss ich mich jetzt um ein paar administrative Aufgaben kümmern, aber später werde ich dann noch
einmal zu Euch kommen. In der Zwischenzeit solltet Ihr ein wenig
ausruhen. Die kommende Nacht wird sehr anstrengend werden,
fürchte ich.«
    Er schien darauf zu warten, dass Andrej in irgendeiner Form reagierte, aber der starrte ihn nur ausdruckslos an. Schließlich hob er mit
einen angedeuteten Seufzen die Schultern und fuhr fort: »Und Ihr
seid sicher, dass ich meinen Leibarzt nicht doch zu Euch schicken
soll? Der Mann ist sehr fähig, glaubt mir.«
    Genau das befürchtete Andrej. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen
konnte, war ein Arzt, der ihn gründlich untersuchte und sich möglicherweise darüber zu wundern begann, dass ein Mann, der seit Tagen
auf den Mauern kämpfte, nicht einen einzigen Kratzer hatte. »Ich
habe noch nicht zugestimmt«, antwortete er stattdessen.
    Von Salm wirkte ehrlich überrascht. Sie hatten die große Eingangshalle, in der das übliche Gedränge und fast noch mehr Lärm als am
vergangenen Abend herrschte, fast durchquert. Nun aber blieb er
stehen und drehte sich betont langsam zu Andrej um. »Ich kann mich
nicht erinnern, Euch eine Wahl gelassen zu haben«, sagte er.
»Vielleicht lasse ich mich nicht gern erpressen«, erwiderte Andrej.
»Erpressen?«, wiederholte von Salm betrübt. »Es tut mir Leid,
wenn Ihr es so seht. Aber so, wie die Dinge liegen, bleibt mir keine
andere Möglichkeit, fürchte ich.«

»Und Ihr würdet ganz

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