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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Herrn bildete, fiel vor von Salm auf die Knie und klammerte sich mit
beiden Händen an seinen Rockschößen fest. »Herr!«, flehte sie.
»Hört mich an!«
Einer der Wachsoldaten krallte die Hand in ihr schmutziges graues
Haar und wollte sie brutal zurückreißen, aber von Salm hielt ihn mit
einer raschen Geste zurück. »Sprecht!«, forderte er die Frau auf.
»Es… es geht um meinen Sohn, Herr!«, stammelte die Frau, die
noch immer auf Knien lag und mit einer Mischung aus Furcht und
verzweifelter Hoffnung in von Salms Gesicht hinaufsah.
»Er wurde zur Verteidigung der Stadt eingezogen?«, vermutete von
Salm.
Die Frau nickte heftig. Andrej sah ihr an, dass sie nur noch mit
Mühe die Tränen zurückhalten konnte. »Ja«, stammelte sie. »Ich habe vier Söhne, und… und er war der jüngste und seine drei Brüder
kämpfen bereits auf den Mauern, und… und meine beiden ältesten
sind schon gefallen und…« Sie schluckte ein paar Mal krampfhaft
und begann mit kleinen fahrigen Bewegungen die Rockschöße des
Grafen zu kneten.
Von Salm schob ihre Hände angeekelt zur Seite. »Wir alle müssen
Opfer bringen, um die Stadt vor dem Ansturm der Heiden zu schützen«, sagte er.
»Aber ich habe bereits zwei Söhne verloren«, schluchzte die Frau,
»und der dritte wurde gestern verwundet und wird vielleicht ebenfalls sterben! Ich flehe Euch an, nehmt mir nicht auch noch mein
letztes Kind!«
Während von Salm versuchte, die Frau abzuschütteln, ohne in aller
Öffentlichkeit endgültig das Gesicht zu verlieren, trat Andrej einen
halben Schritt zurück und ließ seinen Blick über die Menschenmenge
wandern. Der kleine Zwischenfall begann bereits Aufsehen zu erregen, was von Salm sichtlich unangenehm war. Das Schicksal dieser
Frau und ihrer Söhne interessierte ihn ebenso wenig, wie ihn Abu
Duns und sein Schicksal interessierte. Er hatte gar nicht vor, sie
wirklich gehen zu lassen.
Die Erkenntnis traf ihn mit solcher Plötzlichkeit, dass er einen halben Schritt zurücktaumelte und scharf die Luft einsog. Er war nicht
mehr allein. Der andere Unsterbliche hielt sich in seiner Nähe auf.
Andrej fragte sich, wie er ihm so nahe hatte kommen können, ohne
dass er ihn bisher bemerkt hatte.
Und einen Augenblick später sah er ihn auch.
Diesmal machte der Fremde keinen Versuch, sich zu verbergen. Er
war nicht weit entfernt, vielleicht zwölf oder fünfzehn Schritte, eine
schlanke, hoch gewachsene Gestalt in einem grauen Kapuzenmantel,
die vollkommen regungslos inmitten der Menge stand und seinen
Blick so gelassen erwiderte, dass für Andrej nun nicht mehr der geringste Zweifel daran bestand, dass er gesehen werden wollte.
Andrej fuhr ein eisiger Schauer über den Rücken. Er kannte diesen
Mann.
Sie waren sich nicht nahe genug, dass er das Gesicht unter der weit
nach vorn gezogenen Kapuze des Mannes wirklich erkennen konnte,
aber es ging etwas so Vertrautes von ihm aus, dass Andrej…
Nein. Das war unmöglich.
»Stimmt etwas nicht, Andrej?«, drang von Salms Stimme in seine
Gedanken. Andrej fuhr erschrocken herum und sah den weißhaarigen
Grafen an. Der wartete Andrejs Antwort erst gar nicht ab, sondern
trat mit einem raschen Schritt an ihm vorbei und sah aus misstrauisch
zusammengekniffenen Augen in die Richtung, in die auch Andrej
gerade geblickt hatte.
»Es ist nichts«, bemühte er sich hastig zu beteuern. Die Frau, mit
der von Salm gerade noch gesprochen hatte, war nicht mehr zu sehen, und auch einer seiner Männer war verschwunden. »Ich dachte,
ich hätte jemanden gesehen. Ich muss mich geirrt haben«, versuchte
Andrej seine Unruhe zu überspielen.
Er sah wieder in die Richtung, in der er die Gestalt in dem grauen
Mantel erblickt hatte, aber sie war nicht mehr da. Der kurze Moment,
den von Salm ihn abgelenkt hatte, hatte ihr ausgereicht, um ebenso
schnell und auf fast unheimliche Weise zu verschwinden, wie sie
aufgetaucht war.
»Jemand, mit dem Ihr zu sprechen wünscht?«, erkundigte sich von
Salm. »Sagt mir seinen Namen. Ich lasse ihn für Euch suchen. Meine
Männer sind gut ausgebildet in solchen Dingen.«
Andrej schüttelte den Kopf. »Ich muss mich getäuscht haben«, bedauerte er. »Derjenige, den ich zu erkennen geglaubt habe, ist schon
seit vielen Jahren tot.«
»Das tut mir Leid«, antwortete von Salm. »Ein Freund von Euch?«
Andrej überhörte die Frage, ließ seinen Blick noch einmal über die
Menge schweifen und wandte sich dann um. »Ihr kommt zu spät zu
Eurem Gebet, Graf.«
Für

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