Die Wiederkehr
einen winzigen Moment blitzte Zorn in von Salms Augen auf,
aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt und zwang sich zu
einem Lächeln. »Ganz wie Ihr meint«, sagte er brüsk. »Kommt.«
Sie betraten die Kirche. Das Gedränge in ihrem Inneren war fast
noch größer als das auf dem Platz davor. Doch von Salm und seine
Begleiter steuerten nicht das überfüllte Hauptschiff an, sondern
wandten sich unmittelbar hinter dem Eingang nach links und erreichten schon nach wenigen Schritten eine schmale Seitentür, hinter der
eine Wendeltreppe steil in die Tiefe führte. Durch ein kurzes, aber
verwirrendes Labyrinth kleinerer Räume und Gänge gelangten sie in
eine unterirdische Krypta, in der mehrere weitere Männer auf sie
warteten. Mit Ausnahme eines einzelnen, der ein Priestergewand
trug, waren es Soldaten. Schwer bewaffnete Soldaten.
Sie wurden ganz offensichtlich erwartet. Der Mann im Priestergewand trat von Salm entgegen und reichte ihm einen großen Schlüssel, verharrte aber mitten in der Bewegung und schlug hastig das
Kreuz vor Stirn und Brust, als er Andrej sah.
»Nein, Ihr braucht nicht zu erschrecken, Bruder Benedikt«, beschwichtigte von Salm ihn hastig. »Andrej ist kein…« Er brach ab, warf
Andrej einen raschen, entschuldigenden Blick zu und verbesserte
sich dann: »Er ist nicht der, den wir erwartet haben.«
Andrej schwieg, während der Geistliche ihn mit einer Mischung aus
Erleichterung und Misstrauen ansah. Offensichtlich hatte Bruder Benedikt nicht nur jemanden, sondern auch etwas anderes erwartet.
»Kommt, Andrej«, ermunterte von Salm ihn, wobei er aufgeregt
mit dem schweren Bartschlüssel gestikulierte, den ihm der Geistliche
gegeben hatte. »Es ist jetzt nicht mehr weit. Ich hoffe doch, Ihr habt
keine Angst vor Toten?«
Wieder schwieg Andrej. Er folgte von Salm in geringem Abstand,
versuchte sich dabei aber unauffällig und zugleich so aufmerksam
wie möglich umzusehen. Der Raum war größer, als er im ersten
Moment angenommen hatte, aber nahezu leer. Zwischen den fast
mannsdicken gemauerten Säulen, die die gotisch gewölbte Decke
trugen, gewahrte er etwas, was er für einen gemauerten Brunnen
gehalten hätte, wären sie nicht unter der Erde und noch dazu in einer
Kirche gewesen. Neugierig wollte er näher an dieses sonderbare Gebilde herantreten, aber von Salm machte eine erschrockene Handbewegung und hielt ihn zurück. »Tut das lieber nicht, Andrej«, warnte
er.
»Warum nicht?«
Von Salm hob die Schultern und bemühte sich um einen möglichst
beiläufigen Ton, als er antwortete: »Das ist eine lange Geschichte,
und sie gehört nicht zu den rühmlichsten Kapiteln unserer Vergangenheit. Vielleicht erzähle ich sie Euch irgendwann einmal.«
Andrej musste nur einen kurzen Moment überlegen. »Die Pestgrube«, vermutete er.
Von Salm seufzte tief. »Ihr seid wahrlich ein gebildeter Mann, Andrej«, sagte er. »Aber sorgt Euch nicht. Es sind schon lange keine
Toten mehr dort hinuntergeworfen worden, und wir werden der Pestgrube nicht einmal nahe kommen.«
Er beschleunigte seine Schritte und steuerte eine vergitterte Tür am
anderen Ende der Krypta an. Andrej musste sich einen Moment gedulden, bis er das klobige Schloss geöffnet hatte. Die Lautlosigkeit,
mit der sich der Schlüssel drehte, wie auch die, mit der die Tür in den
gut geölten Angeln aufschwang, verrieten Andrej, dass diese Tür in
letzter Zeit oft benutzt worden war.
Von Salm streckte die Hand aus, und einer seiner Männer reichte
ihm wortlos eine brennende Fackel. Auch Andrej wurde eine blakende Fackel in die Hand gedrückt, die er sofort ergriff. Er trat zur Seite,
um von Salms Männern Platz zu machen. Die Soldaten rührten sich
jedoch nicht, und von Salm verkündete: »Ab hier gehen wir allein
weiter, Andrej.«
»Soll ich Euren Begleitern mein Schwert zur Aufbewahrung geben?«, fragte Andrej spöttisch.
»Das wird wohl nicht nötig sein«, antwortete von Salm. Nach kurzem Zögern und begleitet von einem sonderbaren Lächeln fügte er
hinzu: »Ich denke nicht, dass Ihr eine Waffe brauchtet, um mir etwas
anzutun.«
»Herr«, mischte sich einer der Soldaten ein, »ich glaube nicht…«
Von Salm brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Verstummen.
»Kommt.«
Mit einer abrupten Bewegung drehte er sich um und trat in den
Stollen, der hinter der Gittertür seinen Anfang nahm. Obwohl dieser
an die zwei Meter hoch war, sodass selbst Andrej bequem aufrecht
dann gehen konnte, bückte er sich.
Das
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