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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Niemandem von uns ist damit gedient, wenn Ihr Eure
Kräfte überschätzt und am Ende scheitert«, beharrte er. »Weder Euch
noch mir. Auch Eurem heidnischen Freund nicht. Auch wenn es das
Leben vieler tapferer Männer kosten würde - Ihr könnt Euch noch
einen Tag Ruhe gönnen, um Eure Verletzung auszukurieren.«
Der Hinweis auf den Preis, den eine Nacht Schlaf die Bewohner
dieser Stadt kosten würde, erschien Andrej höchst überflüssig. Er
schüttelte den Kopf und machte dann eine auffordernde Geste in
Richtung der vergitterten Tür, durch die sie am Morgen gegangen
waren. Sie stand jetzt offen, und Andrej konnte das flackernde Licht
brennender Fackeln dahinter erkennen. Einmal darauf aufmerksam
geworden, glaubte er auch, gedämpfte Stimmen und entferntes Arbeitsgeräusch aus der Tiefe heraufschallen zu hören, doch nicht einmal seine scharfen Sinne waren empfindlich genug, um ihm wirkliche Sicherheit zu geben.
»Wir haben nur diesen einen Versuch, Andrej«, beschwor von Salm
ihn. »Und es ist nicht ungefährlich. Wenn Ihr scheitert, dann ist nicht
nur Euer Leben verwirkt.«
»Sondern auch das Abu Duns, ich weiß«, sagte Andrej ungeduldig.
Von Salm machte eine knappe Geste und fuhr mit einem Kopfschütteln fort: »Sultan Soliman ist nicht dumm. Wenn Ihr versagt,
dann wird ihm recht bald klar werden, dass auf dem Weg, auf dem
ein Mann aus der Stadt herauskommen kann, auch Männer in sie
hineingelangen können. Seine Krieger haben bereits versucht, durch
die Katakomben einzudringen. Die wenigen, die sich nicht dort unten
verirrt haben und elendiglich ums Leben gekommen sind, konnten
wir aufspüren und unschädlich machen. Wenn er diesen Gang jedoch
entdeckt…« Er führte den Satz nicht zu Ende, aber das war auch
nicht nötig.
»Ich weiß«, beteuerte Andrej.
Von Salm sah ihn einen weiteren Atemzug lang eindringlich an,
und Andrej war sicher, dass es noch etwas gab, was er ihm sagen
wollte. Etwas Wichtiges. Doch von Salm drehte sich stattdessen um
und ging mit schnellen Schritten auf die Gittertür zu.
Andrej folgte ihm in geringem Abstand. Sein Blick fiel wieder auf
den großen, mit einem rostigen Gitter aus mehr als daumendicken,
massiven Eisenstäben versiegelten Brunnenschacht in der Mitte des
Raumes. Ein leichter Geruch nach Tod und Verwesung wehte aus der
Tiefe zu ihnen hoch, als sie ihn passierten. Andrej lief ein eisiger
Schauer über den Rücken, als ihm deutlich wurde, dass sich nur wenige Manneslängen unter ihren Füßen das Grab Hunderter, wenn
nicht Tausender befand.
Andrej wusste nur zu gut, dass das, was wie ein Brunnen aussah,
keiner war. Während der letzten Pestepidemie hatten die Friedhöfe
der Stadt am Ende nicht mehr ausgereicht, um die Toten aufzunehmen, sodass man schließlich dazu übergegangen war, sie einfach in
diesen Schacht zu werfen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie
zu zählen.
Sie durchschritten die Gittertür und die beiden folgenden Gänge,
und als sie die Treppe in den tiefer liegenden, unterirdischen Abwasserkanal hinuntergingen, fanden sie diesen mit Fackellicht erleuchtet
vor. Die Stimmen und das Geräusch von Hammerschlägen und fallenden Steinen waren immer lauter geworden, und Andrej war nicht
sonderlich überrascht, den Raum vollkommen verändert zu sehen.
Über den Fluss aus faulendem Wasser und übel riechenden Abfällen
war ein großes Gerüst aus Balken und Brettern gebaut worden, und
in der nachträglich eingezogenen Wand, die seinen Lauf zuvor behindert hatte, gähnte jetzt ein mannshohes Loch, hinter dem ebenfalls
das rote Licht einer brennenden Fackel glänzte.
Abgesehen von dem halben Dutzend Arbeiter, das dieses Loch im
Laufe des Tages in die Wand geschlagen hatte, hielt sich noch eine
etwas größere Anzahl Soldaten hier unten auf. Die Männer sahen
kräftig aus. Sie waren allerdings blass und wirkten fahrig. Mehr als
einem, so schien es Andrej, stand die nackte Angst ins Gesicht geschrieben. Aber vielleicht machten ihnen auch nur diese Umgebung
und der erbärmliche Gestank zu schaffen.
»Diese Männer werden Euch begleiten«, sagte von Salm.
»Ihr traut mir nicht?«
»Das ist nicht die Frage«, antwortete von Salm. »Sie werden Euch
nicht bis ins Lager der Türken begleiten. Das letzte Stück werdet Ihr
allein gehen. Aber diese Wege sind gefährlich - und glaubt mir, die
Ratten sind längst nicht die größte Gefahr, die hier unten lauert.
Schon so mancher hat sich hier verirrt, um niemals wieder gesehen
zu

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