Die Wiege des Windes
erfahren.
»Es ist wunderschön hier bei dir«, sagte Rike und räkelte sich in ihrem Sessel.
Onno stellte den Rechen an den Baum und schaufelte die Äste in eine Schubkarre. »Das war nicht immer so. Als ich mir das Grundstück kaufte, war es mit Unkraut überwuchert und das Haus fast verfallen. Aber ich hatte ja Zeit, und die habe ich in dieses Haus gesteckt. Fast zwei Jahre habe ich daran gearbeitet. Aber es hat sich gelohnt.«
Der Klingelton des Telefons drang durch die Terrassentür: lautes Vogelgezwitscher. Onno legte die Schaufel zur Seite. Bevor er die Stube betrat, zog er seine Stiefel aus. Rike ließ sich wieder im Sessel zurücksinken und genoss die Wärme. Fünf Minuten später kehrte Onno zurück. Er wirkte verwirrt.
»Das war ein komischer Anruf. Irgendein Versandhaus. Sie wollten mir mitteilen, dass sich die Lieferung verzögert, dabei habe ich gar nichts bestellt. Sie hätten aber meine Telefonnummer auf dem Bestellformular. Dann nannten Sie einen Namen und eine Adresse, die ich nicht kenne.«
Rike richtete sich auf. In ihrem Gesicht spiegelte sich die Sorge. »Hast du deinen Namen genannt?«
Onno nickte. »Sie fragten nach einer Frau oder einer Tochter, die möglicherweise die Bestellung aufgegeben haben könnte. Aber ich sagte ihnen, ich lebe allein.«
»Hast du deine Adresse genannt?«
Onno Behrend überlegte. »Du meinst …?«
»Bei den Kerlen rechne ich mit allem. Verflucht …!«
Onno legte die Hand auf Rikes Schenkel. »Vielleicht hat jemand nur eine falsche Telefonnummer auf den Bestellschein geschrieben. Ein Zahlendreher oder so etwas.«
Rikes ließ sich nicht beruhigen. »Es ist am besten, wenn wir hier verschwinden. Ich traue der Sache nicht.«
Onno ging ins Haus und kehrte mit einer Automatikpistole in der Hand zurück. »Das Ding habe ich noch aus der Zeit, als ich auf die Jagd ging. Eine Schrotflinte und ein Jagdgewehr sind ebenfalls noch da. Niemand bringt mich von hier weg. Aber dich fahre ich noch heute zu einem Bekannten. Ich gehe gleich runter zum Hafen und mach das Boot klar.«
Rike hielt ihn zurück. »Ich bringe dich nur in Gefahr. Ich werde mich der Polizei stellen. Es ist das Beste, glaub mir.«
Onno schüttelte den Kopf. »Nach allem, was wir wissen, sind die Kerle hinter dieser CD her. Wenn du im Gefängnis sitzt, werden sie trotzdem bei mir auftauchen. Und Larsen wäre dann umsonst gestorben. Oder glaubst du, die Polizei kann den Fall ohne unser Zutun lösen?«
Rike schloss die Augen. Schließlich richtete sie sich auf, griff zur Pistole, nahm das Magazin heraus und zog den Verschluss zurück. »Eine Walther PPK, Kaliber 7,65 mm.«
»Du kennst dich aus?«
»Mein Vater war Jäger und er behandelte mich stets wie einen Sohn. Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass es manchmal …« Rike verstummte. Sie schob das Magazin zurück in die Waffe. Dann lud sie durch.
»Wir werden hier auf sie warten.« Onno lächelte, als er sah, wie sie es verstand, mit der Waffe umzugehen. Ein Plan reifte in seinem Gehirn. Es gab eine Möglichkeit, sie von dem furchtbaren Vorwurf, der ihr zu Last gelegt wurde, zu befreien. Auch ohne genau zu wissen, was die Daten auf der CD bedeuteten. Doch es war gefährlich, das wusste er.
*
Trevisan hatte zusammen mit Kirner die Papiere aufgehoben und ins Besprechungszimmer getragen.
»Das ist alles Material zu diesem Fall?«, fragte Trevisan, nachdem der Kriminaloberrat die vier schweren Ordner auf dem Tisch platziert hatte.
»Vernehmungen, Protokolle, Lichtbilder, Spurensicherungsberichte, Analysen und Gutachten. Ich sagte doch, wir legen alle Fakten auf den Tisch.« Kirner schlug mit der flachen Hand auf die Aktenordner und lächelte. »Und jetzt Sie!«
Trevisan verließ das Zimmer und kehrte mit einem roten Ordner aus Pappe zurück, nicht viel dicker als eine Collegemappe. Er warf ihn auf den Tisch.
»Das ist alles?«, fragte Kirner misstrauisch.
»Alles, was wir bislang wissen.« Trevisan holte einen Zeichenblock aus einem Aktenschrank, legte ihn auf den Tisch und daneben eine Packung mir bunten Filzstiften.
Kirner schaute ihm verwundert zu. Er schüttelte den Kopf und griff nach Trevisans Akte. Als er den Deckel aufschlug, schien er seinen Augen nicht zu trauen. »Das ist ja handschriftlich, und wer soll das lesen?«
»Tja, Kollege«, antwortete Trevisan mit einem Schulterzucken. »Urlaubszeit. Unsere Sekretärin kehrt erst in einer Woche zurück. Also fangen wir an. Beginnen wir mit den Personen, die bislang an der
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