Die Wiege des Windes
früher im Comecon in der Außenhandelsabteilung und hat daher ausgezeichnete Verbindungen in den Westen. Seinen Reichtum hat er sich erschwindelt, aber an den Mann ist nicht heranzukommen. Man sagt, er hat mächtige Freunde. Möglicherweise wäscht er Gelder für die Russenmafia.«
Trevisan schaute nachdenklich an die Decke. Kirner warf ihm einen Blick zu. »Sind Sie eingeschlafen?«
»Ich denke nach. Was macht ein Kaufmann mit einem Forschungsschiff draußen im Roten Sand?«
»Mein Kontaktmann weiß nur, dass sich Romanow zurzeit in Deutschland aufhalten soll. Doch welches Geschäft er angeleiert hat und wo genau er ist, davon hat er keinen blassen Schimmer. Sicher ist allerdings, dass es um viel Geld gehen muss. Meist geht es bei Romanow um Millionenbeträge.«
Trevisan erhob sich und stellte sich ans Fenster. Die ersten Sonnenstrahlen durchdrangen den Dunst. »Was kann man im Watt zu Geld machen? Bodenschätze, Gold, Silber, Diamanten, all das gibt es da draußen nicht. Und Rauschgiftschmuggel … Ich weiß nicht, dafür brauche ich doch kein Forschungsschiff.«
Kirner erhob sich ebenfalls und trat an Trevisans Seite. »Vielleicht ein verlorener Schatz«, mutmaßte er mit leichter Ironie in der Stimme. »Ich bin in solchen Fällen gerne Romantiker.«
*
Johannes Hagemann und Alex Uhlenbruch hatten sich von dem Tierpfleger in der Seehundaufzuchtstation verabschiedet. Sie waren nach Norden hineingefahren und hatten sich im Postamt mit einem Berg Telefonbücher in eine stille Ecke zurückgezogen.
Behrend war an der Küste kein ungewöhnlicher Name. Allein in Norden gab es über dreißig Einträge. Zusammen mit denen der Bezirke Greetsiel und Südbrookmerland waren es über fünfzig. Bei den meisten waren Vorname und Adresse vermerkt. Elf blieben übrig, bei denen nur der Nachname und die Nummer eingetragen waren.
»Wir müssen alle anrufen«, sagte Hagemann. »Kann sein, dass ein Familienangehöriger, ein Sohn oder die Ehefrau, eingetragen ist.«
»Und wenn er bei Bensersiel oder gar in Wilhelmshaven wohnt?«, gab Alex zu bedenken.
»Dann sind wir eben ein paar Tage länger damit beschäftigt.«
»Wären die Einwohnermeldeämter nicht besser?«
»Wenn du weißt, in welchem Ort du ihn suchen musst.«
Alex schlug das Telefonbuch zu. »Es gibt hier wahrscheinlich weniger Gemeinden als Fernsprechteilnehmer.«
Johannes lächelte. »Wir können ja beide Wege gehen. Ich brauche erst mal etwas zu essen und anschließend fahren wir auf das Revier in Norden. Von dort aus rufen wir die Leute an.«
*
Die Nacht war ohne Zwischenfall vergangen. Onno hatte die erste Schicht übernommen und war bis sechs Uhr wach geblieben, während Rike versucht hatte, auf der Couch im Wohnzimmer ein wenig Schlaf zu finden. Onno hatte sich mit der Schrotflinte bewaffnet und von Zeit zu Zeit einen Kontrollgang durch das Haus gemacht. Außer dem Wind, der um das Haus strich, den Wellen, die auf dem Strand ausliefen, und dem Knacken von Holz war nichts zu hören gewesen. Trotzdem hatte ihm das Herz bis zum Hals geschlagen, als er bei Dunkelheit durch die Gänge schlich. Er war wie gerädert, als Rike um sechs seine Schicht übernahm. Auch ihr war es nicht viel besser ergangen. Trotzdem ließen sich beide nichts anmerken.
Onno hatte sich hingelegt, doch auch in Rikes Wacht fand er keine Ruhe. So erhob er sich und ging hinauf unters Dach.
Rike blieb im Erdgeschoss zurück.
Draußen graute der Morgen und Rike warf einen suchenden Blick durch die Schlitze der Fensterläden. Doch weder hinter noch vor dem Haus war jemand zu sehen. Kein verdächtiges Fahrzeug, kein Mensch mit hochgeschlagenem Mantelkragen und tief ins Gesicht gezogener Mütze. Nur einmal zuckte sie zusammen, als auf der Uferpromenade jemand auf das Haus zukam. Doch als sie den kleinen weißen Terrier neben der Person erkannte, entspannten sich ihre Züge.
Die Waffe in ihrer Hand gab ihr ein gewisses Maß an trügerischer Sicherheit. Doch würde sie die Waffe auch gebrauchen? Dieser Gedanke hatte sie die ganze Nacht beschäftigt.
»Das ist es!«
Rike fuhr zusammen, als Onnos Stimme durch den Gang hallte.
»Ich hab’s!«
Rike hastete auf den Gang hinaus. »Was ist los?« Ihr Herz raste. Onnos Schritte polterten über die Treppe.
»Ich habe die Lösung!«, rief er, als er vollkommen außer Atem vor ihr stand. »Ich weiß jetzt, was die Kerle da draußen gemacht haben.« Er hielt Rike einen Bogen durchsichtigen Papiers unter die Nase. Eine Art Landkarte war darauf
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