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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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und Rike keine Ruhe geben würde. Sie waren ins Visier geraten, aber sie würden sich zur Wehr setzen. In Onno war eine trotzige Angriffslust erwacht, und Rike wurde von seinem Schwung mitgerissen. Er hatte eine geradezu kindliche Freude an seinem Angriffsplan entwickelt. Und der Plan war gut, davon war er überzeugt. Seine Erfahrung und das Studium der Tierwelt hatten ihn gelehrt, dass es Räuber und Opfer gab. Die Fressenden und diejenigen, die gefressen wurden. Doch auch diese Welt war nicht nur schwarz und weiß, auch hier gab es Graustufen. Manche setzten sich zur Wehr, verteidigten sich gegen die Attacken und überlebten. So wie der Tintenfisch, der sich in Schwärze hüllte und seinem Angreifer die Sicht nahm. Onno würde seinen Gegnern nicht nur die Sicht nehmen.
    Diese Menschen hatten getötet. Ein guter Freund hatte sterben müssen – Onno ahnte, dass Hilko Corde tot war, nur wollte er dem Mädchen, für das er sich verantwortlich fühlte, nicht den letzten Funken Hoffnung rauben. Aber der Pazifismus, den er sich in den letzten Jahren auferlegt hatte, schmolz dahin wie ein Eiswürfel in der Sonne. Er spürte keine Abscheu, wenn seine Hand über den kalten Stahl tastete, der hergestellt worden war, um zu töten. Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er beten sollte, dass die Kerle sie einfach nicht finden würden, oder ob er ihr Kommen nicht geradezu herbeiwünschte. Ein Vers aus dem alten Testament hatte Besitz von ihm ergriffen. Onno hatte sich verändert, er war kalt geworden. Eiskalt.
    Onno schob einen schweren Riegel vor die Hintertür. Die Läden hatte er bereits zusammengenagelt, damit dort niemand so einfach eindringen konnte. Die Tür, die direkt in die Küche führte, würde das Ziel der Killer sein. Dessen war er sich sicher, deshalb hatte er sich noch eine zusätzliche Sicherung ausgedacht. Eine heimtückische und tödliche Sicherung.
    »Hast du einen Fotoapparat?«, fragte Rike, als Onno zufrieden sein Werk betrachtete.
    »Willst du sie fotografieren?«
    Rikes Lächeln missglückte. »Ich brauche das Blitzlicht. Falls sie es doch nach innen schaffen, dann sollen sie ein paar kleine Überraschungen erleben.«
    *
    Als der Morgen graute, hing ein dichter Vorhang aus weißen Nebelschwaden über der Stadt. Die Kälte war zurückgekehrt. Eine unangenehme Kälte, die alles durchdrang, Fasern, Wolle und Gewebe, und sich feucht und klamm auf der Haut niederließ. Johannes Hagemann hatte sich einen dicken Pullover übergezogen, darüber trug er seinen Wollmantel, dennoch fröstelte es ihn, als er vor der Garagenausfahrt wartete. Es war halb acht. Er hatte mit Alex abgesprochen, sehr früh nach Norden aufzubrechen, um Cordes Spind in der Seehundaufzuchtstation unter die Lupe zu nehmen. Corde hatte den Schlüssel auf seinem Schiff gut versteckt. Dafür musste es einen Grund geben.
    Die lange Nacht hatte ihre Spuren hinterlassen und die Müdigkeit steckte noch in ihren Gliedern. Alex konzentrierte sich auf die engen Straßen. Doch mehr als einmal schwankte der Wagen weit über die Mitte hinaus.
    Er kurbelte die Scheibe herunter. Johannes hatte die Heizung auf größte Stufe gestellt. »Verdammter Nebel«, murmelte Alex, als er an einer Kreuzung halten musste und die Vorfahrtsstraße nach Scheinwerfern anderer Fahrzeuge absuchte.
    »Kannst du das Fenster wieder ein bisschen hochdrehen?«, fragte Johannes schläfrig. Das waren die einzigen Worte, die sie wechselten, bevor Alex den Wagen auf dem Parkplatz gegenüber ihrem Ziel abstellte. Ein eisernes Tor sicherte den Zugang zu dem flachen, L-förmig angelegten Gebäude aus rotem Backstein. An einem stählernen Zaunpfosten war ein überdimensionaler Schalter angebracht. »Klingel«, stand auf einem aufgeklebten Papierstreifen darunter.
    Es dauerte nicht lange und ein hagerer Mann um die Fünfzig erschien. Sein graues, schütteres Haar hing wirr in seine Stirn. Er trug einen blauen Overall und lange, grüne Gummihandschuhe, von denen Wassertropfen perlten. Langsam schälte er sich die Handschuhe von den Händen. Es roch nach Fisch.
    »Moin!«, sagte der Mann mit tiefer Stimme. »Die Herren aus Wilhelmshaven?«
    Johannes griff in seine Manteltasche und präsentierte seine Dienstmarke. Das Tor glitt geräuschvoll auf Rollen zurück.
    »Ist ein Ding, das mit dem alten Corde«, bemerkte der Angestellte der Seehundaufzuchtstation, während er sie vorbei an der geschlossenen Kasse ins Innere des Gebäudes führte. »Er war früher oft hier bei uns. Damals bei den

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