Die Wiege des Windes
Hauch von Zweifel hatte es gegeben, denn sie hatte sich nicht gezeigt – bis der alte Mann und sie einen Fehler machten. Als Onno Behrend das Haus verließ, hatte Sniper sie gesehen. Danach hatte ein einziger Tastendruck auf seinem Mobiltelefon genügt. »Sie ist da!«
Mehr war nicht zu sagen. Doch es war ein Gespräch, das über Leben und Tod entschied.
Befehle wurde in einer kehligen Sprache über das Deck gebrüllt. Die beiden Maschinen liefen mit einem tiefen Blubbern an. Ein dünner Rauchfaden erhob sich in den Himmel.
Sie kamen. Sie hatten nur auf das Signal gewartet.
36
Kirner war früh ins Büro gegangen. Zwar hatten die Beamten an der Eingangsschleuse mit ihren müden Augen befremdet reagiert, als er gegen sieben Uhr das Dienstgebäude in der Peterstraße betreten wollte, doch nachdem er seinen Dienstausweis gezeigt und der uniformierte Kollege auch noch einen Notizzettel neben den Fahndungsfotografien entdeckt hatte, summte der Türöffner.
Kirner eilte in den zweiten Stock. Trevisan hatte ihm das Büro direkt gegenüber zugeteilt, in dem bis vor wenigen Wochen noch der bei Trevisan in Ungnade gefallene Kollege Sauter gearbeitet hatte. Noch bevor Kirner sich setzte, griff er zum Telefon und wählte die Nummer seiner Dienststelle. Er musste sich beeilen, Hauck von der Koordinierungsstelle noch zu erreichen, der meist gegen halb acht zur Polizeischule nach Hann fuhr.
Hauck wurde seit seinem Russland-Aufenthalt im LKA nur noch Dawarisch genannt. Ergab sich im Zusammenhang mit einem Fall die Notwendigkeit, Informationen aus Russland zu erlangen, dann wurde der Dawarisch konsequent ins Spiel gebracht. Kirner wusste nach einem etwa halbstündigen Telefonat mehr über die ITATAKA, als ein offizielles Ersuchen, falls es überhaupt beantwortet worden wäre, hätte erbringen können.
Trevisan, der gegen halb acht steif und müde durch den Gang zu seinem Büro tapste, wunderte sich darüber, dass er eine Stimme aus Sauters Zimmer hörte, doch dann fiel ihm wieder ein, wen er dort einquartiert hatte. Leise setzte er den Weg fort. Er brauchte noch ein paar Minuten für sich alleine, denn er hatte eine schwere Nacht hinter sich.
Paula würde kommen und bei ihm bleiben. Ein halbes Jahr vorerst. Der Gedanke trieb ihm noch immer den Schweiß auf die Stirn. Jetzt wurde er sich langsam bewusst, welcher Verantwortung er sich stellen musste. Vielleicht tat ein starker Kaffee erst einmal gut. Das Lebenselixier der Polizisten auf der ganzen Welt. Verdammt, die Kaffeefilter! Er seufzte. Gestern hatte er den letzten verbraucht. Vielleicht konnten die Kollegen aus dem ersten Stock aushelfen. Er riss die Tür auf und wäre beinahe mit Kriminaloberrat Kirner zusammengeprallt.
»Sie haben aber ein Tempo drauf«, witzelte Kirner.
Trevisan stand der Schreck noch ins Gesicht geschrieben, »… keine Filter«, stammelte er überrascht.
»Ein Kaffee wäre nicht schlecht«, antwortete Kirner. »Haben Sie keine Angestellte hier?«
Trevisan warf Kirner einen missbilligenden Blick zu. »Unsere Angestellten sind keine Köchinnen, sondern schreiben unsere Berichte. Außerdem hat unsere Sekretärin gerade Urlaub.«
»Schon gut«, beschwichtigte Kirner. »Ich muss dringend mit Ihnen sprechen. Nachricht aus Sankt Petersburg.«
Trevisan war sofort hellwach. Er setzte sich auf die Couch, die in der Ecke des Zimmers stand. Kirner schloss die Tür und setzte sich neben Trevisan.
»Meine verlässliche Quelle berichtete mir, dass es in Sankt Petersburg unter der Adresse Bolschaja Morskaja Ulizia 122 kein Labor und keine Forschungsanstalt gibt. Das Haus wird im Obergeschoss von zwei unbescholtenen Familien bewohnt. Im Erdgeschoss gibt es zwei Büros. Aber es gibt fünf Briefkästen und auf einem steht tatsächlich ITATAKA. Der Briefkasten wurde nachträglich angebracht.«
»Also eine reine Briefkastenfirma«, folgerte Trevisan.
»Moment, ich bin noch nicht am Ende«, fuhr Kirner fort. »Das Haus gehört dem Inhaber eines der unteren Büros. Er unterhält dort eine Firma, die sich PEKO Consult nennt. Das andere Büro ist leer.«
»Und zu wem gehört nun der Briefkasten?«
Kirner beschwichtigte Trevisan mit einer Handbewegung. »Es kommt noch besser. Der Hausbesitzer und Inhaber dieser anderen Firma ist den Behörden dort drüben kein Unbekannter. Er vermittelt Finanzgeschäfte. Vom Inland ins Ausland und auch umgekehrt. Er heißt Alexander Romanow, ist etwas über fünfzig Jahre alt und hat die Gunst der Stunde genutzt. Er arbeitete
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