Die wilde Gärtnerin - Roman
geschmeckt hatte, schon allein, weil nichts zu fressen da war. Er machte keine Bemerkung über Magdas Kaiser, der Tausende Menschen in den Tod geschickt hatte, nur um noch ein paar Jahre länger an der Macht zu bleiben. Auch Leda unterbrach ihre Oma nicht, selbst wenn sie die Geschichte von der Brosche in einer anderen Version kannte.
Während Helena ihrer Uroma fasziniert zuhörte und sich bemühte, den Nachgeschmack der Kaffeebohne auf ihrer Zunge zu vergessen, machte Erna sich Sorgen wegen der offensichtlichen Appetitlosigkeit ihrer Enkelin. »Isst sie immer so wenig?« fragte Erna.
»Sie isst so viel, wie sie essen mag«, verkündete Leda selbstbewusst ihren Glaubenssatz, »wenn sie nicht hungrig ist, muss sie nichts essen. Sie weiß selbst am besten, was ihr Körper braucht.«
»Du warst genauso«, warf Anton ein, »du hast immer im Essen herumgestochert und die Hälfte stehen lassen. Das hat sie von dir.«
Leda machte ihre blitzeschleudernden Sehschlitze. »Nur, dass sie nicht so lang vor ihrem Teller sitzen muss, bis er leer ist«, womit die Atemübung vergessen und der Kampf eröffnet war. Nach über fünf Jahren und einer halben Stunde reihte er sich problemlos an die Vorkämpfe an.
»Ja ja, du warst so ein armes Kind. Dir is es ja
furchtbar
schlecht bei uns gegangen, geschlagen bist worden Tag und Nacht. Eine
entsetzliche
Kindheit musst du g’habt haben.«
Jetzt bemerkte Leda ihren Irrtum. Er war
kein Quäntchen
milder geworden. Weder zu sich noch zu anderen. Er hatte lediglich gelernt, mit seinen schwindenden Kräften umzugehen und sich ruhig zu verhalten, solange er im Geltungsbereich allgemeiner Öffentlichkeit stand. Kaum war er mit Erna allein, packte er sein Gemisch aus Verachtung und Größenwahn aus. Wer seiner Ansicht nach vom Weg des Normalen abwich, wurde verspottet und verhöhnt. Und seine Tochter war meilenweit von jeder Normalität entfernt. »Immer machst du mich lächerlich!«, schrie sie ihn an. »Immer setzt du mich herab. Nie nimmst du mich ernst. Du hast dich
kein bisschen
geändert. Bist noch immer der unerbittliche Tyrann, nach dem sich jeder richten muss.« Auch Leda konnte noch im selben Fahrwasser wie früher dümpeln.
»Bitte, lasst uns nicht streiten, nicht heute. Es ist Weihnachten. Wir haben uns lange nicht gesehen. – Anton, gib an Frieden.« Erna übernahm wie gewohnt die Rolle der harmonischen Schlichtungsstelle.
»Gibt’s gar keinen Baum?« Magda war von der Abendunterhaltung gelangweilt.
»Ja, Bescherung, ich klingle!«, rief Helena, die bisher noch nie einen richtigen Streit erlebt hatte und gerne noch länger zugehört hätte, aber Geschenke waren auch nicht zu verachten. Sie rutschte von ihrem Sessel und lief in ihr Zimmer zum Weihnachtsbaum.
»Glaubt sie nicht mehr ans Christkind?«, war Erna entsetzt.
»Ich lüge meine Tochter doch nicht an und missbrauche das wunderschöne Fest der Liebe, der Anbetung eines Kindes, für schwarze Pädagogik!«
Erna drehte sich Antwort suchend zu ihrem Mann.
»Mich brauchst nicht anschauen, ich hab dir gleich gesagt, dass sie spinnt.«
Helena läutete die Glocke, als gäbe es Feueralarm. »Kommt endlich, die Kerzen brennen.«
»Du lässt das Kind mit Feuer hantieren?« Erna verlor den letzten Glauben an Ledas Verstand. Die wollte darauf keine Erklärung abgeben, sondern ging hinüber in Helenas Zimmer. Magda stand trotz ihrer Langsamkeit schon vor dem Baum. Sie schlug die Hände vor der Brust zusammen. »Wenn das der Franzl sehen könnt«, weinte sie haltlos.
»Uroma, nicht traurig sein, das hab ich für dich gebastelt.« Helena drückte Magda eine bemalte Christbaumkugel aus Pappmaché in die Hand.
Magda sah nicht genau, was sie da bekam, wusste allerdings, dass es garantiert nicht von Belang für sie war. »Danke, meine Liebe«, stammelte sie und zappelte vom Baum weg, wieder zurück ins Wohnzimmer. »Wenn das der Franzl noch erleben könnt«, jammerte sie. »Er hätt mich gleich mitnehmen sollen. Aber lang wird’s mich eh nimmer geben.«
Anton und Erna erstarrten beim Anblick des Baumes. Eine dicke Tanne stand in einem Blumentopf, der fast größer war als der Baum selbst. Jemand musste einen Strohhaufen über das Bäumchen gestülpt und einige gelbe Kerzen darangesteckt haben. Um das Ganze noch unerträglicher zu gestalten, brannten drei graue Räucherstäbchen an der Spitze der Tanne ab. Der Geruch stach Anton in die Nase.
»So ein Scheiß«, sagte er angewidert.
»Bitte, Anton!«, ermahnte ihn Erna.
Leda
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