Die wilde Gärtnerin - Roman
Magda war über die Geschicklichkeit dieses Kindes erstaunt. Sie überlegte, zu wem das Mädchen gehören könnte. Sie schaute zu ihrem Sohn. Konnte der noch so ein kleines Kind haben?
»So, Oma«, Hilde kam mit einem großen Schöpfer aus der Küche, »wovon darf ich dir geben?« Sie ergriff Magdas Teller und häufte Linsen darauf. Magda schaute die rothaarige Frau an, dann betrachtete sie das Mädchen neben sich. »Von der wird sie sein«, kombinierte Magda, »das könnt sich ausgehen.«
»Und wie geht’s dir?«, fragte Erna ihre Tochter, um ein launiges Gespräch in Gang zu setzen, »was machst denn so?«
»Mir geht’s bestens«, erzählte Hilde, während sie das Essen austeilte. »Ich hab im Haus der Begegnung, das ist gleich beim Einkaufszentrum, ihr müsstet eigentlich daran vorbeigefahren sein, dort hab ich
Herstory
, eine Frauengruppe, gegründet.«
»Ah so?«, äußerte Erna ihre Verwunderung und malte sich nette Treffen bei Kaffee und Kuchen aus.
»Seit über einem Jahr leite ich die. Jede Woche zwei Stunden mit unterschiedlichen Themen. Alles, womit ich mich beschäftige: Meditation, Bauchtanz, Schamanenreise, und und und.«
»Interessant.« Erna war ein bisschen enttäuscht. Warum organisierte ihre Tochter keine Kaffeekränzchen? Da hätte sie vielleicht einmal vorbeigeschaut? »Und wie viele Frauen machen bei so was mit?« Erna kostete die Currysauce und verkutzte sich. Mit dieser Schärfe hatte sie nicht gerechnet, dieses Brennen, das nicht aufhören wollte, gefährlich. Erna hing an ihrem Wasserglas und setzte es nicht eher ab, ehe es leer war.
»Das variiert. Zwischen fünf und fünfzehn.«
»Und
davon
kannst du leben?«, mischte Anton sich erstmals ins Gespräch ein.
Das ist wieder mal typisch, dachte Hilde, das ist das Einzige, was ihn interessiert. Geldverdienen. Selbstverwirklichung hat keinen Stellenwert für ihn, nur Geld. Ihr traumatisierten Kriegskinder, ihr werdet nie über die Wirtschaftswunderjahre hinwegkommen. Sie spürte Wut in sich aufsteigen. Hilde achtete auf ihre Atmung. Sie ließ Luft tief in ihren Bauch einströmen, spürte, wie sich ihr Rippenbogen weitete, fühlte den Raum zwischen ihren Schulterblättern. Dann senkte sich ihr Brustkorb wieder und spannte sich erneut auf. Mit jedem Atemzug stehe ich in Verbindung mit dem Kosmos, mit der heiligen Kraft, sagte sie sich, um der negativen Kraft des Zornes entgegenzuarbeiten. »Ja, ich lebe gut. Die Frauengruppe erfüllt mich, lässt mich wachsen, mich entwickeln. Meine Arbeit und die Erfahrung der vergangenen Jahre haben mich unendlich inspiriert. Ich nenne mich übrigens nicht mehr Hilde, sondern Leda. Und im Frühjahr kommt mein erstes Buch heraus.«
Leda hatte sich in Enthusiasmus geredet. Anton schaute sie verständnislos an. Erna drückte ihre Verwunderung mit »na geh« aus.
Magda schob Reis und Dal auf ihrem Teller hin und her. Nichts schmeckt mehr, dachte sie, alles vollkommen geschmacklos. Was haben die mit dem Essen gemacht? Sie legte ihre Gabel zur Seite und kramte in ihrer Handtasche.
»Es wird ›Frau sein mit allen Sinnen‹ heißen. Ein großer deutscher Verlag für Esoterik hat es sofort genommen. Ich freu mich total darauf.«
»Ja, Gratulation«, sagte Erna, weil sie zwar nicht wusste, was sie von den Tätigkeiten ihrer Tochter halten sollte, sich aber freute, wenn Leda glücklich war. Erna erhob ihr Weinglas. »Auf dich«, sprach sie und verspürte diffusen Stolz auf ihre Tochter. Magda entließ ihre Tasche kurz aus ihrer Aufmerksamkeit, prostete der Runde zu und sagte im weinerlichen Ton: »Wenn das der Franzl noch erleben könnt!« Auch Anton gratulierte.
»Er ist milder geworden«, mutmaßte Leda. Er kam ihr ruhiger vor, nicht so aufbrausend und herrschsüchtig wie früher, eher zurückhaltend. Als würde er sich seinen Teil denken und die anderen reden lassen.
Magda wendete sich wieder ihrem Tascheninhalt zu, der ihr das bot, was sie mühsam gesucht hatte. Eine Kaffeebohne. Ihre Finger hatten sie am Taschenboden erfühlt, zugelangt und sie in Magdas faltigen Mund gesteckt. »Endlich«, dachte sie. Sie war dieser kulinarischen Fadesse entkommen. Kaffeebohnen, das Einzige, was heutzutage halbwegs noch Geschmack hatte. Freilich auch nicht mehr so wie früher. Magda ließ ihre Handtasche im Schoß, ihre Hände an den Bambusbügeln und lehnte sich entspannt zurück.
Helena betrachtete ihre Uroma wissbegierig. Hatte sie da gerade ein kleines Schokobonbon in ihren Mund geschummelt? Leda achtete bei
Weitere Kostenlose Bücher