Die wilde Gärtnerin - Roman
seinen Arm, schaut über meine Donut-Beete wie ein Laser-Scanner. »Neben den Brennnesseln an der Feuermauer ist ein besserer Platz, da ist ab ein Uhr Schatten.«
Sein Blick geht nach Osten am Klohäuschen vorbei, hinter das letzte Beet, zur zweiten Regentonne. »Okay, bauen wir das Hochbeet eben dort.«
»Aber ich will doch keines!«
»Was heißt da
nicht wollen
? Du hast ein freies Fleckchen Erde, weshalb sollten wir das brach lassen? Das ist ineffizient.«
»Hey, du mit deinen Märkten, komm mir nicht mit Effizienz. Zuerst rausholen, was geht, und dann die kaputten leeren Marktstandln von der Öffentlichkeit reparieren lassen. Das geht vielleicht in deiner sogenannten freien Marktwirtschaft, aber in meinem Garten nicht. Wenn du hier ernten willst, musst du dafür was geben. Und ich meine nicht dein Geld.«
Benno schaut pikiert. Bin selbst überrascht von meiner unverblümten Kapitalismus-Kritik → hat Berta mich bereits infiltriert? Will andererseits auch nicht zu hart mit ihm sein. Benno ist ein Mann der Tat, mit kindlichem Hang zum Basteln, der das Wesensmerkmal menschlicher Zivilisation noch immer in der strikten Trennung von Ernährung und Ausscheidung sieht.
»Keine Sorge, du musst nicht auf meine Komposttoilette. Behalte deinen Scheiß und nimm mein Garteneck ohne Gegengeschäft in Beschlag. Aber was willst du eigentlich aussäen?«
»Keine Ahnung«, schmunzelt er. »Was würde denn dort gut wachsen?«
»Alles, was auf den übrigen Beeten auch wächst. Ich sag dir doch, in diesem Fall ist es sinnlos, ein Hochbeet zu bauen. Die entscheidende Frage lautet: Welche Früchte hättest du gern?«
Er denkt so intensiv nach, dass sich sein Bart zusammenzieht. Pläne für ein Hochbeet, aber keinen Schimmer haben, was damit zu tun ist. Ist dieses Verhalten typisch für Beschäftigte des Finanzbereichs? Bennos Gesicht zieht sich wieder auseinander und er meint: »Beeren! Jede Art von Beeren. Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Ribiseln ...« Er nennt die Pflanzen wie Sorten im Eissalon.
»Es tut mir leid, deine zarten botanischen Triebe zu stutzen, aber es macht absolut keinen Sinn, Stauden in ein Hochbeet zu setzen.«
Aber Benno lässt sich nicht stutzen. Genauso wenig wie sein Vollbart, der heute tatsächlich dichter und buschiger ist. Damit wird sein Jünglings-Image beinahe vom Waldschrat-Typ abgelöst. »Wieso soll das keinen Sinn machen?«, fragt er störrisch.
»Weil du sie tief einsetzen musst, sie noch tiefer wurzeln, und sie obendrein in die Höhe wachsen. Du müsstest die Beeren auf deinem Hochbeet von einer Leiter aus pflücken. Etwas widersinnig, wenn du mich fragst.«
Er fragt mich aber nicht. »Das ist mir egal«, sagt er, »wir bauen ein Beet und schauen einfach, was wächst. Ist doch wurscht, wenn wir keinen Ertrag haben, wir gewinnen schon, nur weil wir das machen.« Diese Überlegung wäre dann wieder untypisch für jemanden, der hauptberuflich nach Gewinnzuwächsen strebt. »Gut, dann wäre das geklärt«, sagt er, als würde er sofort ans Werk gehen wollen. Er klatscht sich auf die Oberschenkel und steht auf. »Dann sehen wir uns morgen, ich bringe alles Nötige mit.« Er will fort, hebt die Hand zur Verabschiedung, wendet seinen Körper Richtung Ausgang.
Merke, wie mir das nicht recht ist. Er soll nicht gehen. Lieber soll er bei mir sitzen bleiben, damit wir gemeinsam in den Garten schauen, gemeinsam die Geräusche im Hof wahrnehmen, das blau-violette Aroma der Glyzinie einatmen. Mir fällt ein Mangel auf. Spüre ein Vakuum in mir, das sich in den vergangenen zwei Jahren gebildet haben muss. Etwas fehlt. Genüge ich mir plötzlich selbst nicht mehr? Ist mein Kosmos, mein Garten, mein Leben im Schrumpfen begriffen, wenn ich nicht auf der Stelle mit jemandem über meine Sinneseindrücke spreche? »Du gehst schon?«, frage ich. Es könnte eine Feststellung sein. Oder meine Verwunderung andeuten. Aber meine Frage ist flehend. So wie »bitte bleib«.
»Okay«, sagt er, schlackert mit den Armen, schwenkt herum und setzt sich wieder auf die Bank. Er streckt seine Füße von sich, verschränkt die Hände im Schoß, seine Sandalen baumeln an den Zehen. Zwischen uns spannt sich unangenehme Stille auf. Als Resultat meines Zwangs, ihn am Gehen gehindert zu haben, und seines Widerwillens zu bleiben? In dieser Situation ist es unmöglich, über das zu sprechen, worüber ich vorhin mit ihm sprechen wollte. Eine gemeinsame Wahrnehmung erscheint außerhalb von Raum und Zeit. Jenes Thema allerdings,
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