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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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sie fassungslos mit großen Augen an. »Zum Beispiel in Eritrea werden siebenjährigen Mädchen diese Hautlappen weggeschnitten, ohne Betäubung oder saubere Werkzeuge, einfach mit einer alten Glasscherbe. Manchmal wird auch ihre Klitoris abgeschnitten.« Helen tupfte auf ihre Baskenmütze. »Damit die Frau beim Geschlechtsverkehr keine Lust empfindet. Manche werden sogar bis zum After zugenäht. Die Frau hat höllische Schmerzen und wenn ihr Ehemann in sie eindringen will, muss er sie zuerst durchbohren. Das ist reiner Besitzanspruch, sagt meine Mama.«
    Leos Mund stand offen.
    »Durch diese Verstümmelung kann aber auch das Menstruationsblut nicht abfließen. Es kommt zu Entzündungen, Wucherungen, oft zu tödlichen Blutvergiftungen.« Helen stellte ihr Bein wieder auf dem Boden ab.
    Leo war sehr blass.
    Helen zog sich an. »Bei Geburten gibt es häufig Probleme, viele Frauen sterben. Aber das Ärgste ist, nach der überstandenen Entbindung werden die Frauen wieder zugenäht!«
    Leo fasste sich an den Magen, hielt eine Hand vor den Mund, musste sich endlich doch hinter einen Baum beugen und übergeben.
    »Meine Mutter sagt, dass das allerdings nichts mit afrikanischer, katholischer oder islamischer Kultur zu tun hat, sondern ausschließlich Zeichen eines patriarchalen Systems ist, in dem Frauen zu Mittäterinnen werden.«
    Leos Magen war entleert. Er stützte sich an den Baumstamm und vergrub sein Gesicht in der Armbeuge.
    »Leo, ich bin ganz deiner Meinung, das ist grauenvoll. Die Verstümmelung von Frauen ist natürlich nicht mit deiner medizinisch notwendigen Beschneidung zu vergleichen. Dir geht es ja, wenige Tage nach der OP, schon sehr gut. Aber verstümmelte Frauen leiden jahrelang an diesem Gewaltverbrechen.«
    Leo spuckte aus, um den bitter-säuerlichen Geschmack loszuwerden. Er wischte sich mit einem Stofftaschentuch den Mund und seine verschwitzte Stirn ab.
    Helen strich mit ihrer Hand über Leos Backe, die noch immer recht farblos war. Sie küsste ihn auf seine Nasenspitze. »Ich geh gern mit dir spazieren«, flüsterte sie.
    Das Haus der Triletzkys stand im Verband mit düsteren Gründerzeit-Villen im 18. Bezirk, die links und rechts der Straße ein baumbepflanztes Spalier bildeten. Nach hinten hinaus zeigte es sich in seiner Helligkeit mit geräumiger Veranda und Fenstern, die dazu einluden, den ganzen Tag durch sie hindurch auf die Vorgänge im gepflegten Garten zu schauen. Paul und Isabel Triletzky hatten für ihre Gäste Leda und Helen Cerny den Tisch mit Damast und weißen Servietten (die Leo zu Fächern gefaltet hatte), Gläsern und cremefarbenem Porzellanservice gedeckt. Die Triletzkys saßen nebeneinander auf jenen Sitzen, die der Küche am nächsten waren. Ihnen gegenüber saßen Leo und Helen, an der Stirnseite des Tisches hatte Leda Platz genommen.
    »Das stellt man sich heute viel wilder vor, als es damals war«, wollte Leda die allgemeine Erwartungshaltung drücken und gleichzeitig den Spannungsbogen dehnen. Denn schon nach wenigen Episoden aus der Arztpraxis und einigen verstörenden Lieblingswitzen des Gastroenterologen, die allesamt von Darmwinden und deren Freiheitsdrang in unpassenden Momenten handelten, wollten Leos Eltern Geschichten über die Ludwigshof-Kommune aus erster Hand erfahren.
    »Isa und ich sind etwas älter als du. Wir waren zwar auch nicht fad, aber wir haben es nicht einmal in eine WG geschafft«, motivierte Paul Triletzky Leda, über ihre Vergangenheit zu reden.
    »Ach, so spektakulär, wie man gemeinhin glaubt, war es nicht. Kurze Zeit war es schon aufregend, dann ernüchternd bis enttäuschend. Im Grunde spielte sich erst wieder ein Alphamännchen als Rädelsführer auf.«
    »Also bereust du die Zeit?«, fragte Paul.
    »Aber nein!«, rief Leda, wandte ihren Kopf seitlich nach hinten, eine Geste, die zeigen sollte, wie sehr Paul sie missverstand und wie gewohnt Leda es war, missverstanden zu werden. »Schau, was ich in Ludwigshof für mich entdeckt habe, waren die Philosophen. Foucault, Sartre, Barthes. Das waren sozusagen die Schutzheiligen unseres Altvorderen. Auf den ersten Blick war zwar alles basisdemokratisch, aber strukturell setzte sich ein klassisch lineares Patriarchat durch, sowohl in stilistischer als auch ideologischer Hinsicht. Es gab ganz strikte Denkvorgaben. Anfangs haben mich die neuen Theorien beeindruckt. Sie kurbelten mein Denken an / verschoben meinen Horizont. Erst durch Existenzialismus, Konstruktivismus, Strukturalismus fand ich einen Weg,

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