Die wilde Gärtnerin - Roman
Diese Gefahr droht bei zwei Frauen weniger«, machte Leo seine Einschätzung des Sachverhalts deutlich. Helen dachte kurz, es müsste wohl an ihrer schrulligen Person liegen, dass sie nur ebenfalls verschrobene Personen anzog. »Du, das ist mir blunzn. Meine Mutter ist jetzt auch noch Lesbe! Kann die nicht einfach normal sein?« – »Was regst du dich überhaupt auf? Ist doch nichts dabei. Sie leitet eine Frauengruppe, es ist doch naheliegend, dass sie auf Frauen steht. Was ist daran so schlimm?«, fragte er und wunderte sich über Helens übermäßige Reaktion. »Nichts«, sagte sie wütend. Helen überlegte, warum sie nach allen Episoden mit Leda überhaupt noch schockiert war und nicht endlich akzeptierte, ein Freak zu sein. »Na ja, bin ich eben auch noch Tochter von einer Lesbe. Dann passt das mit der Selbstbefruchtung ja wunderbar. Gut, fein, kann ich mir das mit der Vater-Mutter-Kind-Kleinfamilie endgültig aus dem Kopf schlagen.«
Als sie am Abend nachhause kam, war Jasmin weg. Leda hatte Essen vorbereitet, mit Kerzen auf dem gedeckten Tisch. Das Wohnzimmerfenster stand offen, die orangen Organza-Vorhänge bauschten sich im lauen Abendwind. Sie wünscht sich ein entspanntes Frauengespräch, mutmaßte Helen. Leda hielt ein Glas Limetten-Cocktail in der Hand, an dessen gezuckertem Rand eine Sternfrucht steckte. Ein rosa Strohhalm bog sich zu ihren Lippen. Sie saß auf dem Sessel neben dem Wohnzimmertisch, hatte ein Bein angewinkelt und ließ ihre Hand über das Knie hängen. »Ich habe schon länger ausschließlich Frauen begehrt. Bisher bin ich mit meinen Geliebten ins Hotel. Aber warum sollte ich dir mein Sexualleben verheimlichen?«, eröffnete Leda ihr entspanntes Gespräch. »Ja, genau, warum hast du es verheimlicht?«, fragte Helen und meinte: warum jetzt
nicht
mehr. Leda nahm den Strohhalm und stocherte damit am Boden ihres Glases in den Limetten herum. »Du forderst Konsequenz / prangerst meine mangelnde Entschlossenheit an. Du hast recht. Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, ich habe einen verdammt großen Rucksack mit mir herumzuschleppen / eine riesige, konservative Last.« Helens Mitleid hielt sich in Grenzen. »Ich hab nicht gewusst, wie ich es dir sagen soll / vor allem wann / welcher Zeitpunkt dafür der geeignetste ist?« – »Versuch es mal mit Nachmittag um drei, wenn deine Tochter nichts ahnend nach Hause kommt.« Helen genoss es, ihr Vorwürfe zu machen. »Sogar Toni hat es vor mir gewusst.« Gleich nach Leo war Helen zu ihrer Freundin gegangen. Die gestand ihr, schon längst von Ledas Beziehungen zu wissen. »Eh voll cool«, hatte Toni gemeint und sich gewundert, weshalb Helen empört war. »Ich wär froh, wenn meine Mutter eine Freundin hätte. Ich wär stolz auf sie.« Toni hat auch stinknormale Eltern, dachte Helen, da kann sie sich schon nach ein bisschen Exotik sehnen. Besonders, wenn davon ausgegangen werden konnte, dass diese Exotik niemals ins eigene Wohnzimmer vordringen würde. »Bei anderen ist es erheblich einfacher, ehrlich zu sein«, verteidigte sich Leda weiter. »Außerdem habe ich Zeit gebraucht mir sicher zu sein ...« – »Maaama«, unterbrach Helen ihre Mutter, »und da am Fußboden ist dir dann plötzlich die Erleuchtung gekommen, oder was?« – »Ich hab es drauf ankommen lassen. Falls du uns entdeckst, ist es gut, falls nicht, auch gut.« Leda griff nach Helens Handgelenk, packte zu, schüttelte sie und lachte. »Aber ich hab gewusst, wenn du Jasmin siehst, würdest du mich verstehen. Sie ist wunderbar, oder?« – »Mama, bitte!«, Helen wollte noch etwas schmollen und nicht schon wieder Verständnis für ihre Mutter aufbringen. »Glaub mir, ich wollte dir keinen Schock bereiten. Ich hab die Zeit übersehen und gehofft, du würdest uns erwischen.« Aber Helen hatte keine Ausdauer im Trotzen. »Lass es gut sein. Ich werd’s überleben.« Sie wandte sich ihrem Zimmer zu, in dem Bedürfnis Ruhe zu haben. Doch Leda stand auf, legte ihren Arm um Helen und streichelte durch ihre langen Haare. »Ich bin glücklich, Helen. Weißt du, ich bin glücklich mir ihr«, sagte sie leise. Helen lehnte an ihrer Mutter, atmete deren leichten Patschuli-Geruch ein. Sie schaute über Ledas Schulter auf den Esstisch. Ihr Blick blieb an einer Holzschüssel mit Kartoffelchips hängen. Gesund und selbstgemacht. Helen schloss die Augen. »Dann ist es gut, Mama«, sagte sie.
Helen tippte erneut auf Leos Fingerspitzen. Mit einer winzigen Kopfbewegung deutete sie ihm ihren Wunsch
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