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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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mich als Individuum zu erkennen / konnte ich mich von meinen Eltern abkappen / mich verselbstständigen. Dafür bin ich diesen Denkern überaus dankbar. Aber als der erste Rausch der Begeisterung vorbei war – sowohl was die Kommune als auch die philosophische Lektüre angeht –, konnte ich genauer hinsehen. Und da fiel mir auf: nur Männer. Ausschließlich weiße Männer schreiben über Gesellschaft und meinen dabei wieder ausschließlich weiße Männer. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wird dabei nicht erwähnt und falls doch, nur herablassend als Nutten / als Sexualobjekte / als Trophäen, um die Männer werben / kämpfen. Außerdem erkannte ich, dass alle Philosophen und auch unser Kommunen-Alphatierchen absolute Soziophobiker waren. Entweder sie lebten lebenslänglich bei ihrer Mutter oder waren hinter knackigen, minderjährigen Hintern her. Alles Frauenhasser. Keiner, nicht ein Einziger war beziehungsfähig. Keiner sorgte sich um jemand anderen als um sich selbst oder die eigene Arbeit, was auf dasselbe hinausläuft. Niemand dieser Herren hat einen Menschen auf die Welt gebracht und ihr Gutes getan. Die haben nie erfahren, wie es ist, Positives für die Gemeinschaft zu tun oder von ihr zu empfangen. Wie sollte da eine andere als eine negative / ängstliche / skeptische Einstellung gegenüber der Menschheit entstehen? Körperlicher Verfall / Gewalt / Einsamkeit lautet im Wesentlichen der Erfahrungshorizont unserer Philosophen. Und diese traumatisierten Geschöpfe wollen mir was von der Welt erzählen? Nein danke, deren beschädigte Kindheitswelt kenne ich. Aber es gibt auch eine andere Welt, man muss nur die Augen aufmachen.«
    Helen stieß die Sprechweise ihrer Mutter sauer auf. Seit Leda immer häufiger Seminare und Vorträge hielt, sprach sie mit deutlich hörbarer Zeichensetzung, um ihren Zuhörerinnen Wahlmöglichkeiten zu suggerieren. Früher empfand Helen ihre Mutter als eloquent und generös. Doch jetzt ging sie ihr auf die Nerven, kam ihr überspannt und überaus peinlich vor. Schon seit längerer Zeit entzog sie sich Ledas Lerneinheiten und blieb
Herstory
fern. In Anbetracht von Leos Eltern fühlte Helen ein uraltes Bedürfnis in sich virulent werden. Sie wollte
normal
sein. So normal wie Leos Familie. Sie wollte keine bunte Mutter haben, keinen inexistenten, windigen Vater. Sie wollte einfach so sein wie andere. Helen drehte ihren Kopf zu Leo, streckte ihre Hand unter dem Tisch zu ihm aus, bis sie seine Fingerspitzen berührte. Leo spürte Helens Wärme und merkte ihren hilfesuchenden Blick.
    »Wie meinst du das?«, fragte Isabel Triletzky.
    »Mir ist das einfach eine zu verkürzte / einseitige / nekrophile Sicht auf die Welt, die für beziehungsunfähige / sozial gehemmte Männer mit schlimmen Kindheitserfahrungen durchaus die Wahrheit widerspiegeln mag. Aber ich weiß, dass es noch mehr gibt, als diese Männer zu berichten imstande sind. Die haben ihren Fokus auf einen ziemlich kleinen Teil des Vorhandenen / der Wirklichkeit gelegt.«
    Helen beobachtete das expressive Gesicht ihrer Mutter, wie sie ihre Rede mit ausladenden Gesten unterstrich. »Nein, mit dieser Mutter habe ich keine Chance auf Normalität«, dachte sie und erinnerte sich an den letzten Schock, den ihr Leda versetzt hatte. Helen war gerade von der Schule heimgekommen. Sie hatte sich noch über das kalte Gefühl in ihrer Handfläche gewundert, das die Schnalle der Wohnzimmertür darin verursachte, schon musste sie ihre Mutter anstarren. Eine Frau, die Helen nicht kannte, saß neben Leda. Für Sekunden wusste Helen nicht, was die beiden nackt am Wohnzimmerboden zwischen all den Pölstern und Tüchern zu suchen hatten. Es war nicht unüblich, dass ihre Mutter zuhause unbekleidet herumlief. Aber irgendetwas an der vorgefundenen Situation war anders. Helen stand belämmert da. Langsam kam ihr die Idee, dass Sex wahrscheinlich die zutreffendste Option für dieses Szenario sein musste. »Servus, meine Schöne«, sagte Leda umfassend befriedigt, »das ist Jasmin.« Die nackte Frau neben Helens Mutter hob ihre Hand in einem weichen Bogen. »Hallo, Helen«, grüßte Jasmin. Helen drehte sich um, verließ wortlos die Wohnung, fuhr zu Leo. »Na wenigstens bekommst du kein Geschwisterchen mehr«, meinte der auf ihre Beschreibung des zuhause Vorgefallenen. »Spinnst du?«, schrie sie. »Meine Mutter ist eine Lesbe, was kümmern mich da Geschwister?« »Wenn sie einen neuen Mann hätte, würden die vielleicht ein Kind miteinander wollen.

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