Die wilde Gärtnerin - Roman
brauchen könnte, befürchte aber, dass es wenig ruhmreiche Zwecke sind. Lümmle in der Sofaecke und fühle mich nicht sonderlich wohl.
»Weißt du, wo er arbeitet?«, fragt sie mich, als wollte sie überprüfen, ob ich den ersten Buchstaben des Alphabets kenne.
»Er hat mir gesagt, in einer Ratingagentur.«
Sie formt ihre Augen zu Schlitzen und mustert mich, wie es meine Mutter immer getan hat, kurz bevor sie lieber noch einmal durchgeatmet und ihren Missmut zurückgedrängt hat. Bei Berta ist es weniger schlechte Laune als ein Abwägen, ob ich nicht mehr weiß. Aber anscheinend bin ich ihres Vertrauens würdig, denn schlagartig öffnet sie ihre Lider so weit, dass ich ihre grüne Iris in voller Größe sehen kann. »Laut meinen Informationen ist er Senior Analyst bei
Standard & Poor’s
. Und?«
»Das ist eine der drei größten weltweit agierenden Ratingagenturen.«
Noch immer klingeln keine Glocken bei mir. Habe natürlich schon von Ratingagenturen gelesen. Das erklärt aber nicht, was Berta von Benno will und weshalb sie über seinen Job Bescheid weiß.
»Hat er noch nie über seine Arbeit gesprochen?«
»Eigentlich nicht und außerdem habe ich nicht danach gefragt. Er erwähnt ab und zu launische Märkte, aber darüber rede ich schon mit dir genug.«
Berta macht eine Pause. Sie stößt Luft aus wie eine Stabhochspringerin, bevor sie Anlauf nimmt. »Weißt du, worüber ich in letzter Zeit nachdenke? Es wird doch täglich die Krise ausgerufen und prophezeit, dass wir vor dem Abgrund stehen. Aber alles, was seit über zwanzig Jahren passiert, ist, Macht und Geld von unten nach oben zu verteilen. Siehst du, in diesem System von hegemonialer Machtstabilisierung muss man sich immer fragen: Wem nützt das Ausrufen der Katastrophe? Darüber will ich mit Benno Kreindl sprechen.«
»Warum nur fällt es mir schwer, dir zu glauben, Berta?«, frage ich und ziehe meine Beine noch fester an meinen Oberkörper heran.
»Weil du eine Hosenscheißerin bist?«
»Och, das ist jetzt aber ein wirklich verachtenswertes Schimpfwort mit Scheiße, denn wem nützen schon Fäkalien in der Unterwäsche?«
»Helen, die Frage muss anders gestellt werden: Wem nützen Hosenscheißer? Wem nützen Menschen, die sich ihrer Macht nicht bewusst sind? Schau dir Griechenland oder Spanien an. Dort ist die Suizidrate um vierzig Prozent gestiegen, aber kein einziger aus den Reihen der Wirtschafts- oder Politik-Eliten ist ermordet worden. Hosenscheißer sind destruktiv, aber man muss sich nicht vor ihnen fürchten. Das will ich ändern.«
»Wie? Und wozu brauchst du Benno?«
Berta seufzt erneut auf. Sie fährt sich durch ihre kurzen Haare, schnell, von vorne nach hinten und wieder zurück, als könnte das ihre Gedanken ordnen. »Ich habe mich bei
Standard & Poor’s
als Sekretärin beworben. In der nächsten Runde wird entschieden, ob ich ins Team passe. Es wäre günstig, wenn Benno ein gutes Wort für mich einlegt. Als Senior Analyst hat er durchaus ein bisschen Einfluss.«
»Berta, das ist nicht dein Ernst!« Ein Anflug von Hysterie überkommt mich. Wie stellt sie sich das vor? Soll ich zu Benno sagen: Du, im Haus gegenüber wohnt eine Frau, die gerne mit Quecksilber um sich schmeißt, Menschen auf Atommülllagern aussetzt und Jäger hasst? Wird ihre Jobaussichten sicher erhöhen. »Kannst du dir vielleicht vorstellen, dass ich weder von deiner Qualifikation noch von deiner Arbeitsmotivation überzeugt bin?« Überlege mir, was Berta als Sekretärin anstellen könnte: Den Chef aus dem Fenster im 15. Stock werfen. Ihn mit dem Brieföffner erstechen. → Gibt es in Zeiten von Mails überhaupt noch Brieföffner? Dann ersticht sie ihn eben mit ihrem Kugelschreiber. Oder erschlägt ihn mit dem Laptop.
»Ich bezweifle, dass eine Sekretärin jemals geeigneter für diesen Job war«, sagt sie empört.
»Nur, was siehst du als deinen Job an?«
Plötzlich huscht wieder einer dieser seltenen, bösartigen Lächler über ihre Lippen. »Das willst du nicht wissen.«
»Doch Berta, genau das
will
ich wissen. Was hast du vor bei
Standard & Poor’s
?«
»Weißt du, ich habe genug von den ständig wechselnden Jobs. Ich will endlich eine fixe Anstellung.«
»Glaub ich dir nicht.«
»Ich will – die Bude in die Luft sprengen?«
»Schon realistischer.«
Berta breitet ihre Arme gelassen auf der Lehne des Sofas aus, schlägt die Beine übereinander. Bin ich wirklich eine Hosenscheißerin? Fürchte ich mich davor, einzugreifen, von meiner Macht
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