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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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das Fenster noch immer offen. Im gleichen Winkel.
    7.1.
    Fenstermäßig keine Veränderung. Mittlerweile muss die Wohnung einer Tiefkühltruhe gleichen.
    Esse mit Toni zu Mittag. Karfiol mit Brösel. Dem ist es bis zu seiner Ernte unter dem Tannenreisig sehr gut gegangen. Mache erste Skizzen eines Bepflanzungsplans: im vorderen Teil des Gartens links und rechts von der Mittelachse zwei Reihen kreisrunde kleine und ovale große Gemüsebeete (schauen auf meiner Zeichnung aus wie Bauernkrapfen und Trabrennbahnen). Bei Blumenwiese und Obstbäumen verändert sich nichts. An der hinteren Mauer bleiben Felsbirne, Rosenstöcke, Weinrebe und Feige. An der Sonnenwand bleibt das Frühbeet. Neu: Kukuruz, Sonnenblumen als Stütze für Bohnenranken, und Paradeiser → bin schon auf die Samen von diesem Jahr gespannt.
    8.1.
    Sie muss weg sein. Seit Sonntag steht das Fenster unverändert offen. Oder sie liegt tot in ihrer Wohnung?
    Bleibe in der Nähe des Ofens. Höre »Radiokolleg« über Wahrheitsfindung vor Gericht – interessant im Zuge der derzeitigen Korruptionsvorwürfe.
    Hole Kohlrabi aus dem Beet, Erdäpfel aus der Vorratskammer und schneide Dill vom Kräutertopf auf dem Fensterbrett. Esse zum »Mittagsjournal« meinen Dillkohlrabi, obwohl mir bei den Meldungen des Tages flau im Magen wird: Krise – Arbeitslosigkeit – Spekulationsverluste –› Warum sollte mich das interessieren? Gibt es keine anderen Nachrichten? Schalte ab und lese.
    Zum Abendessen kommt Toni. Erzählt mir von ihrer Altengruppe. Wenigstens das Essen ist gut: Karottensuppe und Rote-Rüben-Risotto → deren rote Farbe findet sich kurze Zeit später in meinem Harn wieder (stets aufs Neue ein kleiner Schock).
    9.1.
    Sie heißt Berta und versperrt ihre Wohnungstür nicht.
    Aber jetzt, die Aufregung legt sich langsam – ja, bin aufgeregt –, jetzt der Reihe nach:
    Am Morgen steht ihr Fenster noch immer offen. Von ihr nichts zu sehen. Halte das nicht mehr aus. Gehe runter, raus auf die Straße. Bin viel zu dick angezogen. Von meinem Fenster aus hat es nass-kalt ausgesehen, aber es hat um die fünf Grad. Ohne Bewegung wird es im Zimmer eben kalt. Beim Rübergehen fühlen sich meine Knochen wie Holzstecken an. An ihrer Gegensprechanlage unzählige Klingelknöpfe. Will irgendwo anläuten und »Zettelaustrager« sagen, aber dann öffnet sich die Tür, jemand verlässt das Haus. Gehe hinein. Den Gang nach hinten zu den Pawlatschen, rauf in den ersten Stock, rüber zu ihrer Eingangstür. Schaue durch das Vorzimmer- und das Küchenfenster, sehe niemanden. Drücke den Griff der Wohnungstür hinunter, lehne mich leicht dagegen. Die Tür öffnet sich. Meine Nachbarin von gegenüber lässt ihre Wohnung einige Tage allein und unversperrt! Mutig. Fast draufgängerisch. Betrete die Wohnung. Rufe »Hallo!«, noch mal ein bisschen lauter: »Hallo!« Keine Rückmeldung. Schaue um die Ecke in die Küche. Da liegt sie nicht. (Wie schon von der Pawlatsche aus gesehen.) Vom Vorzimmer geht links eine Tür ins Bad und WC. Auch dort ist sie nicht. Gehe weiter ins Wohnzimmer und ins Schlafzimmer. Keine Nachbarin. Könnte ihre Kästen durchsuchen, in ihren Laden schnüffeln. Aber was mache
ich?
Schaue aus dem Fenster zu meinem Haus hinüber. Meine Wohnung liegt eine Nuance höher als ihre. Sehe hinter den drei Wohnzimmerfenstern die Rückenlehne meines Sofas und einen Teil des Ofens, daneben mein Bücherregal und den Schreibtisch in der Ecke. Der Durchgang zur Küche klafft als dunkler Quader herüber. Die dahinterliegende Küche ist uneinsichtig. Wäre anders, wenn das Licht an wäre. Alles unterhalb der Fensterbretter bleibt im Verborgenen, weil der Einblickswinkel zu steil ist. Meine Wohnung macht einen verlassenen Eindruck. Was nicht weiter wundert: Ich fehle. Dafür wirkt mein Haus umso belebter. Einige Fenster sind durch warmes, gelbes Licht erhellt. Im 2. Stock links bei Marianne und Erich zieren Winterbilder aus buntem Seidenpapier die Fensterscheiben. Einen Stock darunter hat die Kleine von Kirstin Schneeflocken aufgesprüht. In Tonis Kastenfenstern stehen Stumpenkerzen. Da sie nicht brennen, dürfte sie nicht zuhause sein. Versinke in der Betrachtung meines Hauses. Bin stolz, weil es hübsch und lieblich aus der grauen Häuserzeile der Lerchengasse heraussticht. Stehe lange da und schaue zu mir rüber, verloren im Perspektivwechsel, zufrieden mit meiner Situation als Hausbesitzerin.
    Plötzlich sagt jemand hinter mir: »Wer sind Sie?« Drehe mich aufgescheucht um. Meine

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