Die wilde Gärtnerin - Roman
Berta XY (weiß nicht einmal ihren vollständigen Namen) ist eine Wirtschaftsterroristin. Ihrer Sekretärin wird in naher Zukunft ein fataler Schreibfehler unterlaufen. Stellen Sie die Frau nicht ein!
4.) Was auch immer ich tue, Berta wird zu einer anderen Ratingagentur gehen. Sie hat es nicht speziell auf
Standard & Poor’s
abgesehen. Sie will eine Struktur anprangern, in der Ratingagenturen eine wichtige Rolle spielen.
Plötzlich stoppen meine Gedanken: Weshalb sollte ich Berta überhaupt von ihrem Vorhaben abbringen? Bin ich verrückt? Wozu Handlanger der Finanzindustrie schützen? Meine Bauchdecke hebt sich langsam und senkt sich ebenso ruhig. »Berta, ich werde nichts sagen. Ich werde weder mit Benno noch mit irgendjemand anderem darüber reden. Das ist ganz allein dein Feldzug. Ich halte mich da raus.« Für mich ist dieses Gespräch beendet. Fühle mich unendlich schwer und gleichzeitig leicht, weil von Berta abgeschnitten. Bin tief in meine Sofaecke gedrückt.
»Du steckst schon mittendrin«, sagt Berta und geht zu meinem Schreibtisch, öffnet die oberste Lade und nimmt mein Journal heraus. »Das solltest du so schnell wie möglich vernichten.«
Mir ist, als ziele sie mit einer Waffe auf mich. »Woher weißt du von ...?«, stottere ich.
»Da steht hoffentlich nichts über mich drin.« Berta wedelt mit dem Heft. »Falls doch, würde ich dir nahelegen, es zu verbrennen. Du hast doch einen schönen Ofen. Die Asche kommt auf den Kompost. Ein wunderbarer Ort für deine Aufzeichnungen.« Sie lässt mein Journal auf den Couchtisch fallen.
»Angst?«, frage ich, aber es klingt wie ein Selbstbekenntnis.
»Nicht um mich, Helen. Du belastest
dich
damit. Wenn sie das bei dir finden, kommst du in Erklärungsnotstand.«
»Wer sie?«
»Männer mit ausgeprägtem Hang zu bohrenden Fragen und einer Leidenschaft für Anhaltemethoden.«
Berta wird mir unheimlich. »Warum weißt du solche Dinge?«
»Helen«, fährt sie mich an, »ich bin Systemkritikerin, aber das System mag keine Kritik. Da wird man mit der Zeit vorsichtig. Und diese Fenster sind nicht nur in eine Richtung durchsichtig.«
Die Situation wird mir zu ungemütlich. Berta soll sofort aus meiner Wohnung, meinem Haus, meinem Kopf verschwinden. Sie merkt, dass die Stimmung für weitere Wortwechsel ungeeignet ist. Sie lässt mich in meiner Ecke kauern und geht zur Wohnungstür. »Schau dir Benno einmal genau an und entscheide dann, auf welcher Seite du stehen willst.« Alles, was sie sagt, klingt wie eine Drohung.
»Was wirst du tun?«, frage ich, ohne ihr nachzuschauen.
»Na, was? In die nächste Bewerbungsrunde gehen.«
13. 7.
Halte mich von meinem Platz hinter dem Fenster fern. Will Berta nicht sehen. Vielleicht ist ihre Aura der Unnahbarkeit, die ich von Anfang an in ihrer Gegenwart gespürt habe, gar nicht von ihr ausgegangen, sondern war eine Vorsichtsmaßnahme meinerseits? Vielleicht wollte ich nicht zu viel von ihr wissen, um möglichst lange eine Illusion aufrecht zuhalten? Je länger ich darüber nachdenke, desto dümmer kommt mir meine defensive Haltung vor. Soll sie doch tun, was sie glaubt, tun zu müssen. Wer bin ich, sie abhalten zu wollen? Davon abgesehen, dass sie sich nicht abhalten lässt.
Bertas Worte stiften mich an, im Internet über Ratingagenturen zu recherchieren: Drei Unternehmen sind für 95 % aller Bewertungen verantwortlich. Sie werden für Risikoberechnungen bezahlt und zwar von denjenigen, die sie bewerten. Es sind börsennotierte, gewinnorientierte Unternehmen mit einem Umsatz von über fünf Milliarden Dollar und einem Gewinn von zwei Milliarden. Tendenz steigend. Bereits 2001 wurden mehr als dreißig Billionen (30.000.000.000.000) Dollar an Wertpapieren beurteilt. Wollen Staaten Geld aufnehmen, sind sie gesetzlich verpflichtet, Einschätzungen ihrer Kreditwürdigkeit vornehmen zu lassen. Wurden Anfang der achtziger Jahre elf Staaten bewertet, waren es 2010 hundertfünfundzwanzig. Die genauen Bewertungskriterien bleiben dabei geheim. So viel ist bekannt: Es werden eher Zahlen des Bruttoinlandsprodukts als Befindlichkeiten des Stoffwechselapparats beachtet. Dennoch deklarieren Ratingagenturen ihre Analysen als reine Meinungsäußerung und berufen sich auf den Artikel 1 der US-amerikanischen Verfassung: Pressefreiheit. Sie übernehmen keinerlei Verantwortung für jedwedes Chaos, das ihre Bewertungen auslöst, sie fügen sogar jeder ihrer Bewertungen einen expliziten Haftungsausschluss bei. Warum also nicht die unbeachtete
Weitere Kostenlose Bücher