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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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verschuldet, kämen sie nie und nimmer in unseren Einflussbereich. Ich bin sicher nicht schuld an Sparmaßnahmen, die sich Politiker ausdenken.«
    »Rede dir ruhig ein reines Gewissen ein. Du weißt, dass ihr selbsterfüllende Prophezeiungen verkündet und eure angeblich freie Meinungsäußerung Realitäten schafft. Die Hände, die du so großzügig in mein Hochbeet steckst, hast du bis zum Ellbogen in einem Spiel, das nur sehr wenige Gewinner kennt.«
    Bemerke, wie mir Wirtschaftsthemen Übelkeit verursachen. Sie nötigen mich, Stellung zu beziehen bei etwas, das ich nicht durchschauen kann, und blenden alle übrigen Facetten des Lebens aus. Irgendwann glaubt man, es gäbe wirklich nichts Wichtigeres als Wachstumsraten und Gewinnzahlen. Es ist die völlige Fokussierung auf
einen
Aspekt der Gesellschaft unter Verleugnung des Rests. Wie einseitige Ernährung → da kann kein ausgewogener Humus rauskommen. Zorn, Traurigkeit, Enttäuschung über Benno und Berta sammeln sich in meinen Eingeweiden. Warum sind Menschen so wie sie sind, und nicht, wie ich sie mir wünsche? Stehe auf und suche Zuflucht in meiner Wohnung.
    Zische im Fortgehen: »Geh scheißen!«, und hoffe, Benno versteht mich.
    15. 7.
    Sitze trotzig in meiner Küche, wie in einem selbst erbauten Käfig. Die Jalousien sind unten, um den Blickkontakt mit Berta zu vermeiden. Würde gerne Endivien, Chicorée, Eissalat, Rote Rüben aussäen, traue mich aber nicht in den Garten, weil Benno darin herumschnüffeln könnte. Bin Gefangene im eigenen Haus. Übermorgen fallen auch noch Tonis wahnsinnige Shantis ein, belagern jeden Winkel des Hauses. Zusätzlich werden meine Mieterinnen mit Inventar für den mobilen Garten um sich greifen. Für mich bleibt kein freier Platz. Bin zur Verteidigung des Gartens unfähig. Einziger Ruhepol: meine Wohnung. Nach vorne verdunkelt als Blickschutz. Geschlossene Fenster nach hinten als Lärmschutz. Bin ich nur zum Rückzug fähig? Was ist mit Angriff, wie Berta ihn propagiert? Gibt es einen Weg dazwischen?
    +++ Österreichs Wirtschaftswachstum stagniert mit 0,8 Prozent +++ EZB-Aufsicht bis 2014 aufgeschoben +++ Salzburg hat 1,7 Milliarden Euro Derivate +++ Firmenpleiten legen heuer um 8,7 Prozent zu +++ Griechische Regierung segnet Sparpaket ab +++

1998
    Treffpunkt steinerner Markuslöwe am Südbahnhof. Toni leuchtete Leo und Helen entgegen, als die beiden von der Rolltreppe in die Empfangshalle gehievt wurden. Tonis »Juhuu! Haallooo!« war unnötig. Ihr gelber Sarong, den sie im Nacken über ihrem Neckholder-Bikini verknotet hatte und der ihr bis knapp unter die Pobacken reichte, wurde auch von schwachen Sehnerven wahrgenommen, genauso wie ihr Strohhut mit Stoff-Sonnenblume. Neben ihr lehnte ein Rucksack mit Buttons, auf denen »make love, not atomic energy« stand.
    »Guten Morgen«, begrüßte sie die beiden sichtlich aufgeregt. Sie sah noch immer aus wie Disneys Schneewittchen, nur waren in den vergangenen Jahren auch Merkmale von Lara Croft dazugekommen. Glatte, braune Haare hingen über ihre Schultern, ihre dunklen Augen strahlten oberhalb des ausdrucksstarken, mit knallrotem Lippenstift bemalten Munds. Sah man Toni ins Gesicht, dachte man sofort an Schwarzwälder Kirschtorte. Sah man halsabwärts, fand man Lara Crofts schmale Taille, ihre fröhlich nach außen schwingenden Hüften und den markanten Busen. »Los geht’s!« Toni klatschte in die Hände und ließ ihre Flipflops schnalzen. Die drei nahmen die Rolltreppe hinauf zum Bahnsteig 12, vorbei am elektronischen Auge und stiegen in den Zug nach Venedig, der ersten Destination, die sie am Abend erreichen würden.
    Im Abteil verstaute Helen ihren Tramper-Rucksack unter dem Sitz, den sie in eine leichte Liegeposition schob. Die Uhrzeit war ihr zu früh, um munter zu sein. »Oh nein, bitte nicht«, sagte sie, als Toni ihr einen Plastikbecher in die Hand drückte.
    »Doch, wir müssen auf die Reise anstoßen«, meinte Toni und zog einen Doppler Rotwein aus ihrem Gepäck. »Den hab ich extra mitgeschleppt und will ihn in Venedig nicht mehr sehen.«
    Sie schenkte beiden ein, wobei Leo unglückliche Blicke auf Helen warf. Helen und er hatten lange überlegt, ob sie sich auf diese Reise mit Toni einlassen sollten. Denn während Helen sich immer weiter von Leda distanzierte und deren Umfeld und Aktivitäten kaum mehr ertrug, fiel Ledas Einfluss bei Toni auf fruchtbaren Boden. Toni war Leda ähnlicher, als Helen gutheißen konnte. Trotzdem hatte sie einer gemeinsamen

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