Die wilde Gärtnerin - Roman
Bildungs- und Sozialbereich an. Das und einige Punkte mehr will ich nicht.« Sie presst ihre Lippen zusammen, erholt sich kurz. »Was ich will? Dass die Mächtigen kontrolliert werden. Von uns. Dass sie uns Rechenschaft ablegen über ihr Tun und ihre Absichten. Dass jede Stimme gleich viel zählt, damit eine Gesellschaft entsteht, in der sich Persönlichkeiten frei entfalten können. Flächendeckende Bildung von Autonomie, Bürgerinnenbeteiligung und Zivilcourage. Ohne Angst vor Arbeitslosigkeit, ohne gegenseitiges Ausspielen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Ich will Menschen, die Zeit füreinander haben und sich im Sinne von Gemeinschaftswohl gegenseitig unterstützen. Das will ich.« Bertas Stimmung erhellt sich während der Formulierung ihrer Wunschliste. Trotzdem bleibt sie insgesamt gedrückt. Weil die Erfüllung ihrer Wünsche unerreichbar erscheint? Noch nie ist mir Berta so liebenswürdig vorgekommen wie jetzt in ihrer Unsicherheit. »Das will ich. Aber deine Frage ist berechtigt, was mache ich schon dafür?«, fragt sie.
Meine Stimmbänder sind mit Zuneigung belegt. Ich versuche, sie mit Sachlichkeit zu reinigen. »Dein Gesellschaftsentwurf in Ehren, aber der wird nur zu erreichen sein, wenn wir erkennen und respektieren, wozu wir auf der Welt sind. Solange wir unsere Exkremente verleugnen, werden wir uns weiterhin in Geldverdienen, Machtstreben und Karriere verlieren.«
Berta trinkt ihren Tee aus. »Das sehe ich anders«, sagt sie.
Heute scheint kein guter Tag für Grundsatzdiskussionen zu sein. Berta erhebt sich und trägt ihre Niedergeschlagenheit den Garten hinaus, die Einfahrt entlang, auf die Straße.
10.4 .
Berta wie gehabt vor dem Computer. Winke rüber. Sie hebt kurz das Kinn an, arbeitet aber gleich weiter. Vielleicht spielt sie auch nur Minesweeper. Was nach ihrem gestrigen Manifest zu urteilen, eher unwahrscheinlich ist.
Versorge die Baumscheiben von Apfel, Kirsche und Zwetschke mit meinem verdünnten Urin, was ihnen ausgewogene Makro- und Mikronährstoffe beschert. Lockere im vorderen Teil des Gartens den Boden mit der Grabgabel und lege ein neues Beet an. Auch hier kommt Humus drauf. Forme mit dem Pflanzholz Löcher für Zuckererbsen, Rote Rüben, Häuptelsalat und Kohlrabi. Dazwischen streue ich Kamillesamen. Schmeiße nach der Arbeit meine Arbeitshandschuhe auf die Kommode im Geräteraum. Mache dazu wie immer kein Licht. Weiß sowieso, wo sich dort jede Kiste, Ecke und Kante befindet. Will zur Tür hinaus. Sehe eine dunkle Silhouette im Türrahmen stehen. Fahre zusammen. Habe niemanden kommen gehört. Wer versperrt mir den Ausgang?
»Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken«, tritt der Schatten sofort von der Schwelle zurück. Sehe Bennos Gesicht. Wird jetzt Anschleichen zum neuen Sport in diesem Haus? Oder kann ich mir schon gar nicht mehr vorstellen, dass es hier noch andere Menschen außer mir gibt? »Ich wollte mich nur bei dir bedanken, wegen dem Sommerfestival. Dass wir das jetzt machen können. Danke. Für Toni bedeutet das voll viel.« Höre das »wir« überdeutlich heraus.
»Nichts zu danken.« Trete zu Benno in die Einfahrt, schließe die Tür des Geräteraums ab. Wünsche ihm einen guten Abend und gehe meinen Stiegenaufgang hinauf.
11.4 .
Höre im »Morgenjournal« 15 Minuten lang (!) von einem Hackerangriff auf Vorsorgekassen. Es heißt, die lahmgelegten Webseiten beweisen Spekulationen mit Rohstoffen, Lebensmitteln und Währungen. Die Hacker (
Anonymous
hat sich nicht dazu bekannt) meinen, dadurch wären Tausende Anlegerinnen und Anleger am windigen Derivathandel beteiligt und fordern zu Kündigungen auf→ finde es komisch, dass solche Nachrichten derartig viel Raum bekommen.
Viel wichtiger hingegen der Beitrag im »Radiokolleg«: »Unser Darm, Zentrum des Körpers«. Schön langsam spricht sich die Bedeutung dieses Organs herum → Wir sind um den Darm herum gewachsen (obwohl er im Embryonalstadium eine Zeit lang in der Nabelschnur wächst und erst später in den Bauchraum wandert), der sich vom Gaumen bis zum After erstreckt. Alle Forschungen bestätigen meinen Spruch: Wir sind Regenwürmer an der Luft!
Toni kocht zu Mittag Minestrone. Flink wie eine Amsel zwitschert sie von ihren Vorkehrungen für die Festwoche. Sie hat Flyer gestaltet, Therapeutinnen und Meister eingeladen, bei denen sie schon mal Kurse besucht hat, erzählt von Vorträgen, die möglicherweise zustande kommen. Sie setzt einiges in Bewegung. Mir gefällt ihre Lebensfreude, ich
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