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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Hilde würde
nicht
jammern, sondern sich selbst helfen und die Erbse entfernen. Sie würde sich von nichts drücken lassen.
    »Aber eine Erbse is klein, oder, Oma? Kann ich die überhaupt spüren?«, fragte Hilde.
    »Pass auf, wenn du die Erbsen gspirst, egal ob’s groß oder klan is, wenn’s di stört, dann nimmst die Matratzn und legst sie woanders hin.« Hilde war sich sicher, sie würde noch schlauer als die Prinzessin sein und ihre Matratze nehmen und zu ihren Großeltern gehen. Dort wäre sie weit weg von ihrem Vater; zumindest käme er selten auf Besuch.
    Die Wohnung von Oma und Opa Panticek war zwar winzig klein, aber sie hatten ihr Klo auf dem Gang, was Hilde aufregend fand, und lustige dunkle Betten, die aussahen wie Kisten. Opa Josef schnitzte für sie Holzpferde oder füllte Sand in alte Socken, band einen Faden mit bunten Papierstreifen daran und ging mit ihr vor das Haus, damit sie die Sandsocken in hohem Bogen von sich schleudern konnte. Ihr Opa war immer gutmütig. Hilde durfte ihn sekkieren, so viel sie wollte, er lachte trotzdem und nannte sie »mein Teufelchen«. Außerdem war er für Hilde der einzige Mensch mit nur
einem
Bein. Da war ganz einfach ein Stumpf, wo bei allen anderen noch der Oberschenkel, das Knie, die Wade und ein Fuß mit Zehen kam. Dafür hatte er eine Beinprothese. Die benützte er nur selten, aber wenn, dann musste er Hilde genau zeigen, wie er seinen Beinstummel in die Prothese zwängte und mit Lederriemen festschnallte.
    Oma Amalia las Hilde nicht nur Märchen vor, sie spielte in der kleinen Wohnung auch oft mit ihr Fußball. Natürlich schoss Hilde die meisten Tore, denn Oma Amalia war alt und langsam. Opa Josef war das Tor. Er stand zwischen den beiden Wohnzimmerfenstern an der Wand und kreuzte seine Krücken. Bei jedem Tor, das Hilde schoss, jubelte er wie im Stadion: »Bravo! Hilde vor, noch ein Tor!« - »Uff, i krieg ka Luft mehr«, begann Oma Amalia wie jedes Mal zu schwächeln, »mir is schon ganz schwindlig, i muass mi hinsetzen.« Dabei taumelte sie zwischen den Holzbetten herum, fächelte sich Luft zu und plumpste auf die Couch. »Kumm, setz di zu mir, i kann nimmer mehr.« - »Nein, nein, weiterspielen, Oma, du musst weiterspielen«, zog Hilde dann an Amalias Hand. »Lass deine Oma in Ruh, Hilde, schau«, sagte ihre Mutter und drückte ihr eine halbierte Semmel in die Hand. In der Semmel war eine Rippe Vollmilchschokolade versteckt. Hilde liebte Schokosemmeln. Davon konnte sie auch zwei Stück essen, wäre nicht die unnötige Semmel drumherum gewesen. Hilde setzte sich zu ihrer Oma und aß.
    »Es muss am Fleisch liegen«, überlegte Hilde. Gäbe es nur Süßspeisen, hätte sie nie Probleme mit dem Aufessen. Dann gäbe es kein Geschrei von ihrem Vater, sie müsste nicht weinen, alles wäre in bester Ordnung. Hilde war absolut sicher, die schlechte Laune ihres Vaters hing mit dem Essen zusammen. Denn wenn es ausnahmsweise Mehlspeise zu Mittag gab, war er immer lieb. Dann war er derselbe, der sie an faden Sonntagsspaziergängen auf seinen Schultern trug. Der mit ihr Wettrennen veranstaltete, mit ihr Schwimmen übte, ihr Radfahren lernte. Der sie im Auto lenken ließ und ihr kaufte, was immer sie wollte, selbst ein Eis mit fünf Kugeln. Aber wenn es zuhause eine Fleischspeise gab, war er ein anderer. Da war er jemand, vor dem sie sich fürchtete.
    Antons Faust sauste erneut auf den Esstisch hernieder. Gläser, Teller, Besteck klirrten. Hilde hätte sich am liebsten in ihrem kalten Szegediner Gulasch verkrochen, ganz tief am Boden ihres Tellers. »Das ist mir so was von zuwider. Eure grantigen Gfrieser. Jedes Mal das gleiche Theater. Die eine frisst nichts, die andere schaut deppat. Ich lass mir das nicht länger bieten.«
    Antons Gesicht war dunkelrot. Erna brauchte ihren Mann gar nicht anzusehen. Sie kannte seine Anfälle. Die hatten begonnen, nachdem er und sie in die gemeinsame Wohnung gezogen waren. Es war eine Nichtigkeit gewesen, an die sie sich nicht einmal mehr erinnerte, aber sein Geschrei war ihr noch gut in Erinnerung, und dass er die Wohnungstür hinter sich zugeschmissen hatte. Alle im Haus mussten das gehört haben. Erna war im Wohnzimmer gestanden, als hätte sie ein Tornado dort abgestellt. Ihr zitterten die Knie, ihre Oberschenkel waren zu schockiert, um die Beine durchzustrecken, ihr Magen krampfte sich zusammen. Eine fürchterliche Ahnung beschlich sie. Ihr war, als hätte sie soeben den Deckel einer Geschenkschachtel angehoben und verstohlen in

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