Die wilde Gärtnerin - Roman
Schnellbahntrasse entlang, bis weit ins Marchfeld hinein. Hier würde Helena spielen können, hätte genügend Bewegungsfreiheit, Luft und Natur um sich. Es war ruhig im Hof. Helena erwachte kurz, schielte am Busen ihrer Mutter vorbei, gluckste, streckte die Arme aus und gähnte. Danach fielen ihre schweren Augenlider wieder zu.
»Hallo, meine Schöne, bist du aufgewacht? Ha? Hast du gut geschlafen? Hm?«, nahm Hilde Kontakt mit ihrer Tochter auf. Die gähnte erneut und startete einen weiteren Versuch, ihre blauen Augen scharfzustellen.
»Ja hallo! Meine Kleine hat ja alles verschlafen. Du hast unsere neue Wohnung ja gar nicht gesehen. Die wird dir gut gefallen, Helena, die machen wir uns gaaanz gemütlich. Na komm einmal her.« Sie wickelte Helena aus ihrem Tragetuch, entblößte die linke Brust und ließ ihre Brustwarze in Helenas hungrigen Mund gleiten. »Du wirst dein Zimmer selbst gestalten«, bereitete sie Helena auf dieses freudige Ereignis vor, »wirst die Wände bemalen oder mit Papier bekleben, alles, was dir einfällt, darfst du machen. Das wird ein Spaß. Wird das ein Spaß? Hm?« Sie schaukelte Helena aufmunternd in die Höhe und drückte dabei deren Mund stärker gegen die Milchdrüsen, worauf Helena einen größeren Schluck abbekam. Sehr zu Helenas Freude.
Es war aufregend gewesen. Alles. Zumindest anfangs. In den Weihnachtsferien, ein halbes Jahr vor ihrer Matura, fuhren Hilde und ihre Religionslehrerin Anne Zuber mit einem alten VW-Käfer zur Ludwigshof-Kommune. Der abgewohnte Gutshof unweit von Wien war erst teilweise wieder instandgesetzt worden. An der Fassade rankten sich gemalte Blumengirlanden empor, zogen um Fenster und Mauerstellen, an denen abgebröckelter Putz Sicht auf Ziegelwerk ermöglichte. Der Gemüse- und Kräutergarten lag unter einer dicken Schneeschicht vor dem Hof. »Für den bin
ich
zuständig«, erklärte Anne, »ich bewirtschafte ihn in Permakultur. Sobald der Schnee weg ist, zeig ich dir, was das bedeutet.« Sie parkte den Wagen und hupte zweimal. Sofort kamen einige Leute aus dem Haus, winkten und begrüßten die beiden freudig. Niemand stellte unangenehme Fragen, es gab keine Berührungsängste, keine Unterschiede, alle behandelten Hilde, als wäre sie eine alte Bekannte und Teil der Kommune. Mehr brauchte sie nicht, um sich zugehörig zu fühlten. Während Anne mit Freunden in der Küche blieb, führte sie jemand, der sich als Robert vorstellte, durch das Gebäude. »Weißt du schon, in welches Zimmer du willst?« fragte er, als traute er ihr wirklich zu, hier einzuziehen. »Nein, ich bin nur mit Anne auf Besuch. Wir fahren abends wieder zurück nach Wien.« – »Gefällt’s dir nicht bei uns?« Weder schwang Enttäuschung noch Kränkung in Roberts Frage mit, was sich für Hilde seltsam anfühlte. Bei ihren Eltern hatte sie sich angewöhnt, stets erfreut und begeistert zu tun, um sie nur ja nicht zu beleidigen. Robert hingegen wollte einfach wissen, ob ihr Ludwigshof gefalle oder nicht und jede Antwort wäre in Ordnung gewesen. »Es ist fantastisch hier«, sagte sie, »aber ich bin trotzdem nur auf Besuch.« – »Geht klar. Aber wir hätten Platz genug, falls du dir’s anders überlegst.« Er führte sie in den 2. Stock zu den Schlafräumen, öffnete Türen, hinter denen sich unterschiedlich bunte Zimmer verbargen. Viele waren in warmen Erdfarben ausgemalt oder es hingen Teppiche und Tücher an den Wänden. Matratzen lagen am Boden, in einem Zimmer spannte sich eine Hängematte von Wand zu Wand. Menschen saßen beisammen, redeten, hörten Musik oder lasen still für sich. Sobald Robert eine Tür öffnete, hoben sich die Köpfe, wurde »na, wie geht’s!« gerufen oder lässig gewinkt. Er stellte Hilde einigen Leuten vor, sie schüttelte Hände, lächelte und strich verlegen ihre langen, blonden Haare hinters Ohr. In einem Zimmer saß ein Gitarrist im Schneidersitz auf seinem Bett und ließ sich nicht stören. Robert schloss wortlos die Tür hinter sich. Hilde zog ihre Schultern hoch. Ihr war es unangenehm, in die Privatsphäre Fremder einzudringen. Doch Robert bemerkte ihre Geste nicht. Er ging einfach weiter und öffnete die nächste Tür, ohne vorher anzuklopfen. »Das sind Gertrud und Hermann« sagte er zu Hilde, die eine nackte junge Frau rittlings auf einem jungen Mann sitzen sah. Gertruds Oberkörper schimmerte feucht in der Wintersonne, die durch das Fenster schien. Hermann hielt Gertrud bei ihren Hüften, um sie in ihren Auf-und-Ab-Bewegungen zu
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