Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
grauenvolle Geschichte.
Als er mit
seinem hübschen jungen Bruder über den feinen Sandstrand an der Küste von
Schwud ritt, trafen die beiden auf eine dunkelhäutige, lüsterne Maid, die sie
für eine wilde Fischersfrau hielten, von ihrem Stamm verlassen und nach einem
Mann hungernd. Deshalb stürzte sich der hübsche junge Bruder des Fremden auf
sie, gleich dort am Strand (sie gab deutlich zu verstehen, daß auch sie das
wollte), und labte sich an ihr. Doch das stillte die Gelüste der Maid nur zum
Teil, und deshalb wollte der Fremde selbst ebenfalls die wilde Frau besteigen,
als er sah, wie sein Bruder [351] von
einem runden, blonden, tierähnlichen Mann gepackt wurde, »dessen Brustkorb das
ganze Meer einsaugen konnte«. Der Fremde sah mit Schrecken, wie dieser furchtbare
blonde Gott »mit einem Schwerpunkt wie ein Ball« seinen Bruder zusammenklappte,
ihm sämtliche Knochen brach und ihn zermalmte, ihn ganz einfach übel
zurichtete.
Der Strandball
war natürlich Sprog, und die Frau am Strand, die gelacht, gestöhnt und den
Fremden beschworen hatte, sie schnell zu nehmen, war niemand anders als Fluvia.
Man konnte es
so sehen: Es war doch nett, zu wissen, daß die beiden nach so langer Zeit noch
immer zusammen waren, immer noch ein Team. Doch der Fremde sah es anders – und
rannte davon. Er rannte dorthin, wo er und sein Bruder die Pferde festgebunden
hatten.
Beide Tiere
waren tot. Man hatte ihnen den Brustkorb eingedrückt. Sie sahen aus, als seien
sie von einem riesigen Rammbock getroffen worden, und neben ihnen lag ein Baumstamm,
den kein Mensch hätte emporheben können. Also mußte der Fremde zu Fuß weiter,
und zwar schnell, denn Sprog kam ihm nachgerannt. Glücklicherweise hatte der
Fremde früher als Bote gearbeitet, deshalb konnte er sehr schnell rennen und
sehr lange. Er rannte mit großen, weit ausholenden Schritten, doch wann immer
er sich auch umdrehte, Sprog war ihm auf den Fersen, hüpfte auf seinen kurzen
Stummelbeinen hinter ihm her. Aber er hielt mit ihm mit.
Der Fremde
rannte einige Meilen, sah sich um, und Sprog war hinter ihm. Er hatte zwar
keinen eleganten Laufstil, aber dafür Lungen wie ein Wal.
Der Fremde
rannte die ganze Nacht durch, stolperte über Felsen, fiel hin, richtete sich
wieder auf, torkelte blind weiter. Doch wann immer er stehenblieb, hörte er,
nicht weit hinter sich, Sprog, der wie ein 1½-Meter-Elefant hinter ihm herstampfte und dabei wie ein
asthmatischer Bär keuchte.
[352] Am
Morgen überquerte der Fremde die Grenze von Schwud und stürzte in die Stadt
Lesk in Thaks Königreich. Dort stand er keuchend mit gebeugtem Haupt auf dem
Marktplatz, den Rücken der Gefahr zugewandt, die, da war er sicher, jeden
Moment hinter ihm angetrampelt kommen würde. Stundenlang stand er da, ehe die
freundlichen Bewohner von Lesk ihn ansprachen, ihm etwas zu essen gaben und ihm
sagten, das sei der Grund, warum keiner der jungen Männer von Lesk mehr an den
Strand von Schwud schwimmen gehe.
»Da Sprog«, sagte eine junge Witwe und machte
das Zeichen der Kröte auf ihrer Brust.
»Da kvinna des Sprog« (»Die Frau von Sprog«), sagte ein
einarmiger junger Mann, der entkommen war. Er rollte mit den Augen.
Das geschah mit
Sprog.
Und Bogus
Trumper? Was war mit ihm geschehen? Er war im Sitzen eingeschlafen, sein Kinn
ruhte auf dem Regal unter dem Wasserschildkrötenaquarium, und sein Gehirn hatte
sich schließlich vom Gurgeln des Luftschlauches einlullen lassen.
Tulpen hatte
sich im Bett neben ihn hingekuschelt, hatte eine Stunde lang darauf gewartet,
daß er aufwachen und mit ihr schlafen würde. Er wachte jedoch nicht auf, und so
hatte sie nicht mehr länger gewartet. Sie dachte, sie habe nun lange genug auf
ihn gewartet, legte sich auf den Rücken und beobachtete ihn im Schlaf. Sie
rauchte eine Zigarette, obwohl sie sonst nie rauchte. Dann ging sie ins Bad und
übergab sich. Dann aß sie ein Joghurt. Sie war ziemlich durcheinander.
Als sie wieder
ins Bett ging, saß Trumper immer noch da und schlief neben den
Wasserschildkröten. Ehe sie selbst einschlief, kam ihr eine Idee: Wenn sie zwei
von den großen Fanfaren fände, wie Diesellaster sie haben, dann könnte sie
damit in seine Ohren hineintuten und seine Hirnmasse so durcheinanderschütteln,
daß all seine Erinnerungen ausgelöscht würden. Sie dachte, das könnte
vielleicht helfen.
[353] Wahrscheinlich
hatte sie damit gar nicht so unrecht. Für die meisten Menschen wäre es
schwierig, mit dem Kinn auf einem Regal
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