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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Bogus

[43]  7
    Ralph Packer Films, Inc.
109 Christopher Street
New York, New York 10014
    Tulpen und ich bei der Arbeit. Sie ist für den Schnitt
zuständig; eigentlich erledigt Ralph die Schneidearbeiten selbst, doch Tulpen
assistiert ihm. Außerdem arbeitet sie ab und zu in der Dunkelkammer, aber
eigentlich erledigt Ralph auch das Entwickeln selbst. Ich habe weder vom
Entwickeln noch vom Schneiden besonders viel Ahnung. Ich bin für den Ton
zuständig; ich spiele die Musik ein; bei Synchronton sorge ich dafür, daß alles
stimmt; wenn es einen Filmkommentar zu sprechen gibt, spiele ich ihn ein; wenn
wir Kulissengeräusche brauchen, stelle ich sie her; brauchen wir einen
Erzähler, dann mache ich das meist. Ich habe eine so schöne, mächtige Stimme.
    Wenn ich den
Film in die Hände bekomme, ist er schon fast fertig; die unbrauchbaren Teile
sind fast alle herausgeschnitten, und die Sequenzen sind ziemlich genau so, wie
Ralph sie haben will, zumindest sind sie schon mal grob zugeschnitten– halbwegs
so, wie Ralph sie dann zum Schluß zusammenstellen wird. Ralph ist eigentlich
eine One-Man-Band, mit ein wenig technischer Unterstützung von Tulpen und mir.
Immer ist es Ralphs Manuskript und seine Kameraarbeit; es ist sein Film.
Doch Tulpen und ich sind versierte Techniker, und außerdem gibt’s da noch das
RalphPacker-Fanclub-Mitglied Kent, das für uns die Botengänge erledigt.
    Tulpen und ich
gehören nicht zum RalphPacker-Fanclub. Der Junge namens Kent ist in dieser
Beziehung auch eine One-Man-Band. Ich will damit keineswegs andeuten, Ralphs
Filme seien [44]  unbekannt.
Sein erster Film, Gruppen-Feeling, erhielt den
ersten Preis beim National Student Film Festival. Meine schöne mächtige Stimme
ziert diesen Film. Ralph hat ihn gemacht, als er nach seinem Diplom am
Filminstitut in Iowa weiterarbeitete.
    Ich lernte ihn
im Sprachlabor kennen, in einer Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden. Ich
stellte gerade Bänder für den Erstsemesterkurs Deutsch zusammen, als dieses schlurfende,
haarige Ungetüm den Raum betrat. Alter zwischen zwanzig und vierzig, vielleicht
Student, vielleicht Dozent; Trotzkist oder Amish Farmer, Mensch oder Tier; ein
Dieb, der aus einem Fotoladen herausgeschlendert kommt, vollbeladen mit Linsen
und Belichtungsmessern; ein Bär, der nach einem schrecklichen, gewalttätigen
Kampf einen Fotografen aufgefressen hatte. Dieses Ungetüm kam also auf mich zu.
    Zu der Zeit war
ich immer noch mit meiner Übersetzung von Akthelt
und Gunnel zugange.
Mir war, als käme Akthelts Vater, der alte Thak, auf mich zu. Als er sich mir
näherte, bewegte sich ein ganzer Lichtschwall mit ihm. Hundertfaches Glitzern
widergespiegelten Lichts, von den Linsen, den Schnallen und all den
blankgeputzten Chromteilen her.
    »Bist du
Trumper?« fragte er.
    Ein weiser
Mensch, dachte ich bei mir, würde jetzt ein Geständnis ablegen. Zugeben, daß
die Übersetzung ein einziger Betrug ist. Hoffen, daß der alte Thak in sein Grab
zurückkehrt.
    »Vroog etz?« stellte ich ihn auf die Probe.
    »Gut«, brummte
er; er hatte verstanden! Er war der alte Thak! Doch er sagte nur: »Ralph
Packer«, befreite eine Hand aus ihrem Fäustling, schob sie mir dann aus dem
Ärmel seines Eskimoparkas heraus zu. »Du kannst doch Deutsch, oder? Und kennst
dich mit Tonbändern aus?«
    »Richtig«,
sagte ich vorsichtig.
    »Schon mal was
synchronisiert?« dröhnte er. »Ich mach grad einen Film.« Ein Perversling, dachte ich; er will mich in seinem [45]  Porno haben! »Ich brauch ’ne deutsche Stimme«,
sagte er. »Irgendwie was Deutsches, das ab und zu im Hintergrund in die
englische Erzählung eingeblendet wird.«
    Ich kannte
diese Filmstudenten. Man geht an Benny’s Kneipe vorbei und sieht durch das
Fenster einen schrecklichen Kampf; ein Mädchen, dem sie den BH heruntergerissen haben, bedeckt verzweifelt seine Brust. Ich
stürze also rein, um der Lady zu helfen, stolpere über einen Kamerawagen,
verheddere mich in den Verlängerungskabeln und stoße einen Typ um, der lauter
Mikrophone in der Hand hält. Und das Mädchen sagt unwirsch: »He, immer langsam.
Ist doch nur ein Film , verdammt noch mal.« Sie sieht
einen an, mit einem Blick, der sagt: Nur wegen so Idioten wie dir mach ich die BH -Szene heute schon zum vierten Mal.
    »…also, wenn du
gern mit Bändern und Aufnahmegeräten rumspielst«, sagte Ralph Packer, »mit
Geräuschen und Zeiten rumwerkelst… Tonmontage, weißt du. Ich brauch nur ein
paar Sachen, dann kannst du daran basteln

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