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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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– kannst damit rumspielen. Vielleicht
hast du ja ein paar gute Ideen…«
    Zu der Zeit war
das ein richtiger Schock für mich; ich, ein Footballwimpelverkäufer, und jetzt
kam jemand an und meinte, ich könnte eigene Ideen haben!
    »He«, sagte
Ralph und sah mich an. »Du kannst doch auch Englisch, oder?«
    »Was zahlst
du?« fragte ich zurück, und er knallte seinen Pelzhandschuh auf meinen Stapel
Tonbänder; ein Band zappelte wie ein Fisch an der Angel.
    » Ich soll zahlen?« brüllte er los. Ein gewaltiges Schulterzucken ließ eine Zoomlinse
an seinem Hals tanzen. Szenen mit dem alten Thak in Rage kamen mir in den Sinn.
     
    Zwar war ein Greis er und auch schwach
    Doch mit dem Pfeil tief in der Brust
    [46]  Die größer noch als Gurks Weinfaß
    Trat Thak zum mörderischen Bogenschützen
    Erdrosselt’ ihn mit der eig’nen Bogensehne.
     
    Dann trieb mit seiner Hand, die hart
    Durch Hunderte von Reitzügeln
    Den Pfeil er durch die eig’ne Brust
    Zog ihn heraus am Rücken unter mächt’gem Stöhnen.
     
    Den Schaft noch schleimig von des Alten Blut
    Traf Thak den verräterischen Gurk – mit ausweidendem
    Hieb! Dann dankte der Große Thak auf Knien Gwolph
    Und segnete das Festmahl blutig dargereicht.
     
    So wütete Ralph durch die Kabinen des Sprachlabors, und eine
Schar verschreckter Erstsemester drängte sich an der Tür zusammen, während er
weitertobte. »Leck mich doch am Arsch! Ich soll dich bezahlen?
Dafür, daß du Erfahrungen sammeln kannst? Dafür, daß es eine einmalige Gelegenheit
für dich ist?? Hör mal zu, Thumper« – ein paar respektlose Studenten kicherten –, »du solltest mich dafür bezahlen, daß ich dir diese Chance gebe! Ich fang
grad erst an. Ich zahl nicht mal mir selbst was! Ich hab fünfzehnhundert von diesen verdammten Footballwimpeln verkauft,
damit ich mir ein Weitwinkelobjektiv leisten konnte, und du kommst an und
willst auch noch Geld dafür kriegen, daß du was lernst?« – »Packer! Wart mal!«
schrie ich ihm hinterher; er war bereits an der Tür, von der sich die Studenten
eiligst verdrückten.
    »Laß dich doch
einscheißen, Thump-Thump«, sagte er. Und drehte sich mit wilder Miene zu den
Erstsemestern: »Habt ihr gehört, er soll sich einscheißen lassen!« Ich konnte
ihre blinde Furcht spüren und dachte einen Augenblick lang, der Mob würde auf
mich losstürzen und ihn beim Wort nehmen. Ich rannte ihm [47]  dennoch nach und erreichte
ihn am Trinkbrunnen im Gang, wo er mit tiefen, gierigen Zügen schlürfte.
    »Ich wußte
nicht, daß du Footballwimpel verkauft hast«, sagte ich.
    Später, als er
sehr von meinen Tonmischkünsten angetan war, sagte Packer mir, irgendwann würde
er mich bezahlen können. »Wenn ich mir selbst was zahlen kann, Thump-Thump,
dann springt auch für dich was dabei raus.«
    Und Ralph
Packer hielt Wort. Gruppen-Feeling war ein
bescheidener Erfolg. Der Teil, wo das Horst-Wessel-Lied über einer
angetrunkenen Gruppe in Bennys Kneipe eingespielt ist, das war meine Idee. Und
dann der Teil mit der Versammlung der Mathe-Fachschaft, da sind einige Szenen
in Deutsch dabei, und in den Untertiteln steht: »Zuerst verhaftet
man sie mit einem rechtskräftigen Haftbefehl, dann fängt
man an, so viele von ihnen zu verhaften, daß Gruppenprozesse schon an der
Tagesordnung sind, dann kriegen sie solche Angst vor den
Internierungslagern, daß sie einen nicht mehr damit behelligen, ob man einen
rechtskräftigen Haftbefehl hat, so daß man dann…«
    Es war eine Art
Propagandafilm. Das Böse war die angeborene Feindseligkeit von Gruppen
gegenüber dem einzelnen. Es war aber kein politischer Film; alle Gruppen waren
gleichermaßen verzerrt dargestellt. Der Feind war jedwede Gruppe, die sich
zusammengeschlossen hat. Selbst eine Schulklasse mit nickenden Köpfen: »Ja, ja,
schon klar, verstanden, jawohl !«
    Alle hielten Gruppen-Feeling für »innovativ«. Nur eine einzige wesentliche Kritik wurde
jemals geäußert; sie erreichte Ralph in Form eines Briefes von der German-American Society aus Columbus, Ohio. Ihnen zufolge
war der Film antideutsch; er »bringt jede Menge alte Kamellen wieder aufs
Tapet«. Gruppen seien nichts typisch Deutsches, schrieben sie,
und Gruppen an sich seien auch gar nicht schlimm. Ralph wurde als »Verrückter«
bezeichnet. Niemand hatte den Brief unterschrieben. [48]  Er war nur mit einem Stempel versehen: THE GERMAN-AMERICAN SOCIETY.
    »Schon wieder
so ’ne Scheißgruppe«, meinte Ralph. »Mehr als fünfhundert Leute haben

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