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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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persönliche
Liebesgeschichte, [35]  und
niemand wußte, was sie bedeutete. Ich würde gern behaupten, daß ich aufgehört
habe, weil ich das Gefühl hatte, Akthelt und Gunnel dürften ihrer Intimsphäre
nicht beraubt werden. Aber jeder, der mich auch nur ein wenig kennt, würde das
für eine schamlose Lüge halten. Man würde annehmen, ich hätte einfach nur
deswegen aufgehört, weil mir Akthelt und
Gunnel nicht
gefiel, oder weil es mich langweilte, oder weil ich zu faul war, oder weil ich
so viel unechtes Altniedernordisch erfunden hatte, daß ich die Geschichte nicht
mehr in den Griff bekam.
    Darin stecken
schon ein paar Körnchen Wahrheit. Aber es stimmt ebenso, daß mir Akthelt und Gunnel sehr ans Herz ging. Zugegeben, die Ballade ist schrecklich. So
ist es zum Beispiel einfach unvorstellbar, daß irgendwer sie singen könnte,
dazu ist sie einfach zu lang. Außerdem habe ich Versmaß und Reimschema einmal
als »multipel und flexibel« bezeichnet. Eigentlich gibt es überhaupt kein
Reimschema; wenn sich etwas reimt, dann nur zufällig. Und von Versmaß hatte der
anonyme altniedernordische Dichter einfach nicht die leiseste Ahnung (im
übrigen glaube ich, daß der Dichter eine Bäuerin war).
    Es ist eine
weitverbreitete irrige Auffassung, daß die Dichter der damaligen Balladen, die
immer nur von Königen und Königinnen und Prinzen und Prinzessinnen handeln,
auch adelig gewesen seien. Doch es waren Bauern, die über diese Könige und
Königinnen schrieben. Nicht nur die Adligen dachten, Könige und Königinnen
seien etwas Besseres, sondern gerade die Bauern, weil sie davon ausgingen, daß
Könige und Königinnen etwas Besseres seien als sie selbst. Ich kann mich des
Verdachts nicht erwehren, daß auch heute noch ein gut Teil der Bevölkerung so
denkt.
    Aber Akthelt
und Gunnel waren besser. Sie liebten sich; sie
kämpften zu zweit gegen die ganze Welt; sie waren unschlagbar. Doch die Welt
war es auch. Ich dachte, die Geschichte kommt mir bekannt vor.
    Am Anfang habe
ich mich ans Original gehalten. Meine [36]  Übersetzung der ersten zweiundfünfzig Strophen ist wörtlich.
Dann hielt ich mich im großen und ganzen an die Geschichte, brachte nur eigene
Details hinein, bis Strophe hundertzwanzig. Dann habe ich ungefähr
hundertfünfzig Strophen recht frei übersetzt. Bei Strophe zweihundertachtzig
habe ich damit aufgehört und wieder eine wörtliche Übersetzung versucht, nur um
zu sehen, ob ich es noch nicht verlernt hatte.
     
    Gunneluppvaktat att titta Akthelt,
    Hanz kniv af slik lang.
    Uden hun kende inde hunz hjert
    Den varld af ogsa mektig.
     
    Gunnel liebte es, Akthelt anzuschauen.
    Sein Messer war so lang.
    Doch sie wußte in ihrem Herzen,
    die Welt war zu stark.
     
    Nach dieser verflixten Strophe habe ich nicht mehr
weitergelesen und Akthelt und
Gunnel aufgegeben. Dr. Holster hat bei
dieser Strophe gelacht !Ebenso Biggie. Aber ich habe nicht gelacht. Die Welt ist zustark – ich konnte alles kommen
sehen! –, der Dichter wollte den unvermeidlichen Niedergang andeuten. Natürlich
mußte es mit Akthelt und Gunnel ein schlimmes Ende nehmen. Ich wußte es, und
ich wollte es einfach nicht wahrhaben.
    Lügen! würden die, die mich damals
kannten, mir zurufen. Der alte Bogus mit seinem Drang, immer und überall seine
eigene Sentimentalität hineinzuinterpretieren! Die Welt war zu stark – für ihn !Er
sah, daß es mit ihm selbst ein schlimmes Ende nehmen würde – mit dem einzigen
von uns, der sich einen rührseligen Film im Kino ansieht und begeistert ist,
der eine Schnulze liest und losheult wie ein Schloßhund, wenn es auch [37]  nur ein Jota mit ihm zutun
hat! Schlamm im Hirn! Schmalz im Herzen! Warum wohl nennt man ihn Bogus? Etwa,
weil er so wahrheitsliebend ist?
    Sollen sie mich
doch, diese herzlosen Schlubs. Ich lebe jetzt in einer anderen varld.
    Als ich Tulpen
Strophe zweihundertachtzig zeigte, reagierte sie auf ihre feierliche Weise. Sie
legte den Kopf an mein Herz und lauschte. Dann ließ sie mich ihrem lauschen.
Sie tut das, wenn sie eine Situation als bewegend empfindet; wenn sie gerührt
ist, gibt es bei ihr kein sarkastisches Busenlupfen.
    »Stark?« fragte
sie. Ich lauschte ihrem Herzschlag und nickte.
    »Mektig«, antwortete ich.
    »Mektig?« Ihr gefiel der Klang; sie spielte
mit dem Wort, bis sie einschlief. Mit den Worten zu spielen war etwas, was mir
beim Altniedernordischen wirklich Spaß machte.
    Nun denn.
Joghurt und jede Menge Wasser, und ein gewisses Maß an Mitgefühl, wo

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