Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
nichts mehr mit der Oper zu tun
haben. Aber irgendwie bin ich nie ganz davon losgekommen…«
Und was dann,
Merrill? Vielleicht deine Erotickunst-Tour-Masche? Und wenn das Wetter schön
war, bist du sicherlich mit Polly Crenner in den Zoo gegangen. Ein anstrengender
Spaziergang durch den Schönbrunner Tiergarten. Du hast mir immer gesagt,
Merrill, daß Tiere sexuelle Instinkte anregen. Ein Schluck Wein auf der
Terrasse, von wo aus ihr zugeschaut habt, wie sich die Giraffen die Hälse
aneinander rieben? Dann der altbewährte Spruch: »Das wurde natürlich alles
zerbombt…«
»Der Zoo?«
»Ja, im Krieg…«
»Wie
schrecklich für die Tiere!«
»Oh, nein. Die
meisten Tiere waren schon aufgegessen, ehe die Bomben fielen.«
»Haben die
Menschen sie gegessen?«
»Hungrige
Menschen, ja…« Und dann hast du deinen Weltschmerzblick aufgesetzt und dem
Elefanten nachdenklich eine Erdnuß gereicht. »Aber das ist doch nur natürlich,
oder?« hast du Polly Crenner gefragt. »Als wir Hunger hatten, haben wir sie
gegessen. Jetzt füttern wir sie…« Ich kann mir vorstellen, Merrill, du hast es
fertiggebracht, daß dieser Satz tiefsinnig klang.
Und dann?
Vielleicht hast
du auf einen Eilbrief gewartet, und ob Polly etwas dagegen hätte, mal eben mit
dir zu kommen, damit du im Briefkasten nachsehen konntest? Keine Frage,
natürlich hatte sie nichts dagegen.
Und irgendwann
hast du das Gespräch darauf gelenkt, daß man hier auch schwimmen gehen konnte,
wenn die Nächte noch so [418] schön
lau waren – was dann zu dem angenehmen Umstand führte, daß ihr zuerst hoch zu
dir gehen mußtet, damit du dir die Badehose anziehen konntest, und dann in ihre
Pension, damit sie in ihren Badeanzug schlüpfen konnte. Oh, du warst clever,
Merrill.
Doch du hast es
verpatzt! Du mußtest natürlich die Geschichte mit dem Panzer auf dem Grunde der
Donau zum besten geben, nicht wahr? Ob sie nun wahr war oder erfunden, du
mußtest sie loswerden.
»Die blutige Donau«, hast du gesagt, »haben Sie das
gelesen?«
»Ist das ein
Roman?«
»Ja, von
Goldschmied. Aber natürlich wurde er nie ins Englische übersetzt.«
Dann bist du
mit ihr am Prater vorbei stadtauswärts gefahren.
»Was ist das
für ein Auto?«
»Ein Zorn-Witwer,
Baujahr 54. Ziemlich selten heutzutage.«
Als ihr über
die Alte Donau gefahren seid, hast du dich über den geheimnisvollen Nimbus von
Goldschmieds schillernder Flußgeschichte ausgelassen. »Wie viele Männer liegen
wohl auf dem Grund der Donau? Wie viele Speere und Schilde und Pferde, wieviel
Eisen und Stahl und Überreste aus Tausenden von Kriegsjahren? ›Lies im Fluß
nach‹, schreibt Goldschmied. › Da ist die Geschichte aufgezeichnet!
Lies im Fluß nach!‹«
Wer ist
Goldschmied? fragte sich Polly bestimmt an dieser Stelle. Ach, süße kleine
Polly, aber wer war denn der große Weber?
Und dann hast
du gesagt: »Ich kenne ein Stück vom Fluß, ein Stück Geschichte.« Sie ließ deine
bedeutungsschwangere Pause verstreichen. »Ist Ihnen die neunte Panzerdivision
ein Begriff?« hast du gefragt und ihre Antwort gar nicht erst abgewartet. »Die
neunte Panzerdivision hatte zwei Spähpanzer nach Floridsdorf geschickt, am
Silvesterabend 1939. Die Nazis wollten eine [419] Panzerkompanie in die Tschechoslowakei
verlegen, und die war am Donauufer stationiert. Die Späher sollten feststellen,
ob in Floridsdorf Ärger zu erwarten war. Da gab es ein paar todesmutige
Partisanen, und die Späher wollten die potentiellen Saboteure ablenken, die den
Vorstoß am Fluß gefährden konnten. Nun, die Spähpanzer haben ihr Fett
weggekriegt. Einer wurde in Stücke gerissen, vor einer Trockenmilchfabrik. Der
andere geriet in Panik. Er verirrte sich in dem Gewirr von Fabriken in
Floridsdorf und landete schließlich ganz hinten an der Alten Donau – am alten
Flußbett, das abgesperrt ist. Haben Sie es gesehen? Wir sind gerade
drübergefahren.«
»Ja, ja«,
antwortete Polly, erschlagen von der Wucht der historischen Ereignisse, die auf
sie einstürzten.
Dann hast du
den Zorn-Witwer bei ›Gelhafts Keller‹ angehalten, Merrill. Du hast Polly
Crenner die Beifahrertür geöffnet, und sie plapperte: »Und was ist dann mit ihm
passiert?«
»Mit wem?«
»Dem Panzer.«
»Ach, der Panzer… Ja,
der hatte sich verirrt.«
»Und…«
»Es war
Silvester, nicht wahr. Eiskalt. Und diese wilde Horde Partisanen, die hat ihn
gejagt…«
»Wie kann man
denn einen Panzer jagen?«
»Mit sehr viel
Mut«, hast du ihr erklärt. »Sie
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