Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
herumlief;
ich achtete darauf, daß ich [409]  den
Tischecken und Stuhllehnen nicht zu nahe kam. Dann zog ich auch mein Hemd aus,
weil ich daran streifte, besonders, wenn ich mich hinsetzte. Ich war also
nackt, bis auf die Socken. Der Fußboden war kalt.
    Es wurde
bereits hell, als ich fertig war; ich brachte den Projektor in den Vorführraum
und ließ die Leinwand herunter, damit sie sofort merkten, daß etwas auf sie
wartete. Dann sah ich mir den Streifen zur Sicherheit noch mal an.
    Es war ein
kurzes Band. Die Dose markierte ich mit einem Stück rotem Klebband, DAS ENDE DES FILMS hatte ich darauf geschrieben.
Dann fädelte ich den Film wieder ein, ließ ihn ganz bis zum Anfang vorlaufen
und sorgte dafür, daß das Bild scharf war; sie brauchten ihn nur noch
einzuschalten, und dann würden sie folgendes sehen:
    Bogus Trumper
mit seinem Sohn Colm in der U-Bahn. Das hübsche Mädchen mit der schönen Brust,
die Colm zum Lachen bringen kann und Trumper dazu, daß er sie berührt, ist
Tulpen. Sie teilen ein Geheimnis, doch es gibt keinen Ton. Dann sage ich aus
dem Off: »Tulpen, es tut mir leid. Aber ich will kein Kind.«
    SCHNITT .
    Bogus Trumper
geht aus der Tierhandlung, Goldfischgläser unter dem Arm, und der Schäferhund
im Hawaiihemd winkt ihm nach. Trumper schaut sich nicht um, doch seine Stimme
sagt aus dem Off: »Tschüs, Ralph. Ich will nicht länger in deinem Film
mitspielen.«
    Es war ein
ziemlich kurzes Band, und ich erinnere mich daran, daß ich dachte, so lange
würden sie sich wohl wach halten können.
    Ich suchte
gerade nach meinen Kleidern, als Kent ins Studio kam. Er hatte ein Mädchen
dabei; Kent brachte immer Mädchen mit ins Studio, wenn er sicher war, keinen
von uns dort anzutreffen. So konnte er ihnen alles zeigen, als sei er der
Besitzer oder trage zumindest die volle Verantwortung für all die Geräte.
    Von meinem
Anblick war er reichlich überrascht, das ist klar. [410]  Er bemerkte, daß ich grüne Socken trug. Und ich
glaube nicht, daß sein Mädchen wußte, daß Pimmel so aussehen können wie meiner.
»Hallo, Kent«, sagte ich, »hast du meine Klamotten irgendwo gesehen?«
    Sie diskutierten über die Operation, wobei Kent versuchte, sein
Mädchen zu beruhigen, und Trumper mit schmerzverzerrter Miene seine
Mullkompresse und die Unterhose wieder anzog. Dann sagte Bogus zu Kent, daß er
unter keinen Umständen das kurze Band, das auf dem Projektor lag, vor Ralph und
Tulpen anschauen dürfe; die beiden sollten es gemeinsam ansehen, und ob Kent so
nett sein könne und nichts anrühren,
bis sie alle beisammen waren und den Film anschauen konnten.
    Kent las, was
auf dem Klebeband und der Dose stand. »Das Ende des Films?« fragte er.
    »Da kannst du
Gift drauf nehmen, Kent«, erwiderte Trumper. Dann ging er hinaus und hielt
dabei den Schritt seiner Hose weit vom Körper ab.
    Er hätte warten
können. Wenn er es getan hätte, hätte Kent ihm vielleicht von der
Badezimmerszene erzählt, die sie soeben abgedreht hatten. Wenn er noch länger
gewartet hätte, hätte er vielleicht bemerkt, daß Ralph und Tulpen nicht
zusammen ins Studio kamen, ja nicht einmal aus der gleichen Richtung.
    Doch er wartete
nicht. Später dachte er über seine ärgerliche Angewohnheit nach, immer zu früh
zu gehen. Später, nachdem Tulpen ihn über ihre Nichtbeziehung zu Ralph
aufgeklärt hatte, mußte er zugeben, daß er nicht einmal einen guten Grund zu
gehen gehabt hatte. Im Gegenteil, so legte Tulpen dar, er hatte sich schon
vorher einfach dazu entschlossen, zu gehen, und wenn man nach Gründen sucht,
findet man immer welche. Er widersprach ihr nicht.
    Aber an diesem
Morgen, mit seinem frischen neuen Pimmel, wartete er ein wenig ab und ging
dann, als er sie im Studio wußte, in [411]  Tulpens Wohnung. Dann suchte er einige seiner Sachen zusammen
und ein paar Sachen, die ihm nicht gehörten; er stahl eine Glasschale für
Cornflakes und einen leuchtend orangen Fisch für Colm.
    Die Busfahrt
nach Maine dauerte ewig. Der Bus hielt an jeder Mülltonne an, und in Massachusetts
stellten sie fest, daß ein Mann hinten im Bus gestorben war; eine Art lautloser
Herzinfarkt, meinten die anderen Fahrgäste. Der Mann hatte in Providence, Rhode
Island, aussteigen wollen.
    Allen schien
davor zu grauen, den Toten zu berühren, also erbot sich Bogus, ihn aus dem Bus
zu hieven, obwohl ihn das beinahe seinen Schwanz kostete. Vielleicht hatten die
anderen Angst, sich irgendwie anzustecken, doch Bogus war vor allem davon
entsetzt, daß

Weitere Kostenlose Bücher