Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
entgegenkommender
sein?
    Welch ein
bedeutender Augenblick! Lydia Kindle betet mich an, verehrt mich – einen so
weltgewandten Mann, so großartig und unversnobt, daß er sich nicht zu schade
ist, einem ganz einfachen Verkäufer zu helfen. Ein Humanist tritt in Lydia
Kindles Leben! Auf diesem Höhepunkt von Ruhm und Ehre lasse ich mich sogar dazu
herab, das Brett wieder aufzurichten, während der Glork neben
mir noch vor Wut kocht, seinen Button aus der Tasche zerrt und murmelt: »Komm,
Lid, sonst verpassen wir noch das Spiel!«
    Da sehe ich
Fred Paff, den schlitzohrigen Verkaufschef der Hawkeye Enterprises, wie er die
Südkurve durchkreuzt. Zweifellos will er sehen, wie das Geschäft läuft. Und
natürlich erspäht er mich und mein übel zugerichtetes Verkaufsbrett. Und ich
trage den Button mit meiner Nummer nicht und habe auch die grellgelbe Schürze
für das Wechselgeld nicht an.
    »Ihr Freund hat
recht«, sage ich schnell zu Lydia, »ihr geht jetzt besser los, sonst verpaßt
ihr den Anpfiff.«
    Doch ihre
Verehrung ist zu groß; sie starrt mich mit weitaufgerissenem Mund an.
    »Jetzt macht
schon«, flehe ich die beiden an, und der Glork faßt nach
Lydias Ellbogen.
    [92]  Aber
es ist schon zu spät; Fred Paff rückt uns bereits auf die Pelle. Ich kann
seinen Tweedmantel schon riechen, höre, wie seine Hängebacken im Wind flattern;
wie ein Sportler hat er sich eingesprüht und gepudert und steht jetzt schwer
atmend neben mir, robust, immer auf der Hut.
    Er dröhnt los:
»Trumper! Wo ist denn dein Hawkeye-Button, Junge? Wo hast du deine
Wechselgeldschürze? Und was zum Teufel hast du mit dem Verkaufsbrett
angestellt?« Ich kann ihn nicht ansehen, als er den Stoffstreifen, der zu Boden
hängt, abreißt. Beim Anblick dieses schönen Stoffstreifens, der jetzt völlig
zerfleddert ist, holt er tief Luft, atmet heftig seinen eigenen Deodorantgeruch
ein. Ich bringe einfach keinen Laut heraus. Fred Paff versetzt mir einen
wuchtigen Schlag auf die Schulter. »Trumper?« sagt er, nahezu brüderlich. Das
ist mehr, als ich ertragen kann; er tätschelt mich wie einen verwundeten Hund.
Er wühlt in meiner Parkatasche und zieht das schreckliche Beweisstück hervor –
die gelbe Schürze und meinen Button, Nr. 501. »Fred?« sagt er freundlich,
»Fred, was um Himmels willen ist denn mit dir los?«
    »Ha!« schreit
der Glork . »Also ist er doch der
Verkäufer!«
    Und Paff fragt:
»Fred? Wollen diese Leute etwas von dir kaufen? Verkaufst du heute nichts?«
    Wenn Lydia
Kindle doch nur laut losgelacht hätte, dann hätte ich es ertragen können. Hätte
sie sich genauso verhalten wie ihr Glork , wäre ich irgendwie damit fertig
geworden. Aber ich konnte spüren, wie sie neben mir vor Mitleid erschauerte.
    Sie sagte: »Oh,
Mr. Trumper. Sie sollten sich nicht schämen. Einige Menschen müssen eben
arbeiten, und ich finde, das ist stark von Ihnen, ehrlich!«
    Solch
dümmliches, naives Mitleid verletzt mich am meisten.
    Paff sagte:
»Meine Güte, Fred, reiß dich zusammen!« Sogar Paff! Daß selbst er sich sorgt,
was los ist! (Bei unserer Orientierungsbesprechung sagte er, daß er sich um all
seine »Jungs« [93]  kümmern
würde, aber ich hatte nie geglaubt, daß er es auch so meinte!) Es ist zuviel
für mich.
    Sie haben mich
eingekeilt, Paff und Lydia, und vor meinem Brett steht der heimtückische Glork. Ihn
kann ich ja noch verstehen! Und hinter ihm, darauf könnte ich schwören, hat
sich schon die Meute zusammengerottet. Dieses Drama vor dem Spiel ist besser
als jede Halbzeitshow. Die Menge denkt, was Mengen eben so denken: Warum machen
sie so was nicht auch in der Halbzeitpause? Sie bräuchten der Menge nur die
Verkäufer vorzuführen, sie einer Meute Zuchtschweinen, von denen es in Iowa so
viele gibt, vorzuwerfen und sich mit ihren dämlichen Verkaufstafeln verteidigen
zu lassen – das wäre eine tolle Show für die Halbzeit!
    Ich verdufte.
    Ich ergreife
das Brett mit den Waren und stürze mich damit auf und über den jaulenden Glork. Und
dann hinein in den abscheulichen Mob; ich trage das Brett wie ein riesiges
Schlachtermesser durch die Masse. Dann hebe ich es über mich und trage es jetzt
auf dem Rücken; ich gehe nach vorn gebeugt, und mein Schutzschild bewahrt mich
vor Attacken von hinten. Ich sehe schreckerfüllte Gesichter vor mir auftauchen,
die sich wegducken, um meinem Angriff zu entgehen. Beleidigungen werden mir
nachgeschleudert. Manchmal wird auf den Schutzschild geschlagen oder, öfter
noch, daran herumgezupft. Ich

Weitere Kostenlose Bücher