Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
an,
oder?«
Colm ließ sich
nur ungern wegziehen. Er hielt den verstümmelten Brotlaib in der Hand und sah
immer wieder über die Schulter zurück zu der Sturzflugente – diesem ehemaligen
Stuntpiloten, dem auf seltsame Weise gründelnden Vogel. Was war der Grund für
diesen Selbstmord? fragte ich mich. War sie vielleicht schon verwundet gewesen,
hatte womöglich tapfer während vieler schwieriger Landungen eine
Schußverletzung mit sich herumgetragen, um hier schließlich ihre Flugfähigkeit
zu verlieren? Oder war es nur ein plötzlicher natürlicher Tod mitten im Flug?
Oder war sie besoffen, hatte ihren Hunger zuletzt in einem gärenden
Sojabohnenfeld gestillt?
»Bogus, wenn du
vorher schon weißt, daß ihr durch den Zoo [204] nach Hause geht, wäre es mir lieber, wenn du gleich zwei Brote
kaufen würdest, damit wenigstens eins für uns übrigbleibt«, sagte Biggie
vorwurfsvoll.
»Wir haben
einen wunderschönen Spaziergang gemacht«, entgegnete ich. »Der Bär hat
geschlafen, die Waschbären haben miteinander gekämpft, und der Büffel läßt sich
gerade ein neues Fell wachsen. Und die Enten« – ich stupste den verdächtig
stillen Colm in die Seite –, »da war so eine dumme Ente, die in den Teich
gefallen ist…«
»Eine tote
Ente, Mami«, sagte Colm feierlich. »Sie ist abgestürzt.«
»Colm«, ich
hockte mich neben ihn, »du weißt doch gar nicht, ob sie tot war.« Doch er war
sich sicher.
»Manche Enten
sterben einfach«, sagte er so geduldig zu mir, daß es mich ärgerte. »Sie werden
einfach alt und sterben, weiter nichts. Tiere und Vögel und Menschen«, sagte
er, »die werden einfach alt und sterben.« Und er schaute mich weise und
mitleidsvoll an, war offenbar traurig, seinen Vater mit einer so harten
Wahrheit konfrontieren zu müssen.
Dann klingelte
das Telefon, und die Vorstellung von meinem eigenen, schrecklichen Vater
löschte alles andere in meinem Hirn aus: Daddy, der schon eine Fünfminutenrede
parat hat, eine Analyse der emotionalen Unausgeglichenheit in Biggies Briefen,
der am anderen Ende der Leitung seine Pfeife pafft. Ich glaube, seine Pfeife
war mit erlesenster Rationalität gestopft. Zeit fürs Abendessen in Iowa, Zeit
für den Digestif in New Hampshire; ein Anruf, der sorgfältig auf seine
Gewohnheiten abgestimmt war, typisch. Aber auch typisch für Ralph Packer, der
sich gern zum Abendessen einlud. »Geh doch ran«, sagte Biggie.
»Geh du doch ran«, entgegnete ich. »Du hast die Briefe geschrieben.«
»Ich rühr den
Hörer nicht an, Bogus, nicht, nachdem ich ihn so beschimpft hab, den Arsch.«
[205] Als
wir bewegungslos dasaßen und dem drängenden, unbeantworteten Klingeln
lauschten, zog Colm seinen Küchenstuhl heran und kletterte hoch, um ans Telefon
zu kommen.
»Ich mach
schon«, meinte er, aber wir stürzten uns beide auf ihn, ehe er den Hörer
abnehmen konnte.
»Laß es
klingeln«, sagte Biggie und wirkte zum erstenmal wirklich verstört. »Laß es
doch einfach klingeln, Bogus.«
Und genau das
taten wir. Wir saßen das Klingeln aus.
Biggie sagte:
»Ich kann ihn direkt sehen! Wie er ins Telefon schnaubt!«
»Sicher ist er
jetzt wütend«, meinte ich, »der Arsch.«
Später jedoch,
als Colm aus dem Bett gefallen war und brüllte – und an Biggies üppige Brust
trottete, um sich dort nach einem besonders häßlichen Alptraum, in dem ein Zoo
vorkam, beruhigen zu lassen –, sagte ich: »Ich wette, das war nur Ralph Packer,
Big. Mein Vater würde uns nicht anrufen. Er würde uns schreiben. Einen ganzen
Roman würde er uns schreiben, der Arsch.«
»Nein«,
entgegnete Biggie. »Das war dein Vater. Und er wird nie wieder anrufen.« Ihre
Stimme klang richtig froh.
In dieser Nacht wälzte sich Biggie gegen mich und sagte: »Laß
es klingeln.«
Aber ich hatte
einen Traum. Ich träumte, daß Iowa ein Auswärtsspiel hatte und ich mitkommen
mußte. Sie brauchten mich für einen Überraschungsangriff gleich nach dem
Anpfiff. Von meinem eigenen Torraum aus rannte ich den ganzen Weg zum
gegnerischen Torraum, um auf wundersame Weise ein paar Punkte für Iowa zu
machen. Natürlich wurde ich auf dem Weg fertiggemacht, zerstückelt,
gevierteilt, zermahlen, durchlöchert und zerschlagen: doch irgendwie schaffte
ich es, verkrüppelt, aber aufrecht in den jungfräulichen Torraum des Gegners
durchzubrechen.
Dann das
Nachspiel: Die Cheerleaders von Iowa – diese [206] wunderbaren Mädchen – tragen mich vom Spielfeld
und schleifen mich an der Seitenlinie entlang, vorbei an
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