Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
den geifernden,
höhnenden gegnerischen Fans. Kleine Nymphen in Pullovern tragen mich dahin;
mein schlaffer, blutiger Arm berührt eines ihrer kühlen, rosa Beine; ich spüre
die Glätte und auch ein Prickeln. Ich hebe meinen verschwommenen Blick, schaue
in ihre jungen, tränenüberströmten Gesichter; eine streift mit den Haaren meine
Wange, vielleicht will sie mir die Grasflecken von der Nase wischen oder den
Stollen, der sich in mein Kinn gebohrt hat, entfernen. Ich bin federleicht. Diese
kräftigen, jungen Mädchen tragen mich unter das Stadion, durch einen
darmähnlichen Tunnel. Ihre hohen Stimmen hallen wider, ihre schrille Besorgnis
um mein Wohlergehen durchdringt den Schmerz meiner Wunden. Jetzt legen sie mich
auf einen mit einem Leintuch bedeckten Tisch, nehmen mir die verkrusteten Arm-
und Knieschoner ab, bestaunen und beklagen meine Wunden. Von oben dringt
gedämpft das Stadiongetöse zu uns herab. Die Mädchen waschen mich ab; ich
kriege einen Schock, zittere; sie legen sich auf mich, aus Angst, ich könnte
erfrieren.
Mir ist so
kalt, daß ich einen zweiten Traum habe: Ich bin auf Entenjagd in den
Salzsümpfen von New Hampshire, stehe neben meinem Vater im Anstand. Ich frage
mich, wie alt ich bin; ich habe kein Gewehr, und wenn ich mich auf die
Zehenspitzen stelle, kann ich knapp den Hals meines Vaters erreichen.
Er sagt: »Sei
still!«, und: »Mein Gott, dich nehm ich kein zweites Mal mehr mit!«
Ich denke: Ich will gar kein zweites Mal mehr
mitkommen!
Das muß ich
laut geträumt haben, denn Biggie fragte mich: »Wer wollte dich denn mitnehmen?«
»Was, Big?«
»Laß es
klingeln«, antwortete sie, schon wieder im Schlaf.
Aber ich lag
wach da und dachte über die schreckliche Tatsache nach, daß ich mir jetzt einen
richtigen Job suchen mußte. Der [207] Gedanke,
unseren Lebensunterhalt zu verdienen… Dieser Ausdruck klang für mich genauso
obszön wie die Vorschläge, die auf den Wänden der Männerklos zu lesen sind.
[208] 17
Überlegungen zum Scheitern der
Wassermethode
Einen Termin bei Dr. Jean-Claude Vigneron zu vereinbaren ist
eine unerfreuliche Angelegenheit. Die Sprechstundenhilfe, die den Telefonanruf
entgegennimmt, interessiert sich nicht für die Leidensgeschichte des Patienten,
sondern fragt nur, ob der genannte Termin recht sei. Nun ja, eigentlich nicht.
Nun denn, das tue ihr leid. Also sagt man ihr schließlich, daß es sich schon
irgendwie machen läßt.
Der Warteraum
in Vignerons Praxis ist ganz gemütlich eingerichtet. Ein Werk des berühmten
Illustrators Norman Rockwell für die Saturday
Evening Post ziert
die Wand; daneben hängt ein Poster von Bob Dylan. Lesestoff gibt es zuhauf: McCall’s, The Village Voice, The New York Times, Reader’s
Digest oder Ramparts – doch niemand liest darin. Die
Patienten beobachten Vignerons Sprechstundenhilfe, deren Schenkel, Hintern und
Schreibtischstuhl man vom Wartezimmer aus sehen kann. Und sie lauschen
aufmerksam, wenn die Sprechstundenhilfe einen um eine Beschreibung der Symptome
bittet. Das spielt sich meist nach dem gleichen Schema ab.
»Aus welchem
Grund möchten Sie den Arzt sprechen?«
Unzusammenhängendes
Geflüster.
»Wie bitte?«
Lauteres
unzusammenhängendes Geflüster.
»Wie lange
haben Sie diese Probleme beim Urinieren schon?«
Welche
Probleme? würden die Patienten, die sich hinter den Zeitungen verstecken, für
ihr Leben gern wissen.
Der Gang zum
Urologen ist eine so entsetzlich unangenehme [209] und beklemmende Angelegenheit, daß ich Tulpen
zur Unterstützung mitnahm. Im Wartesaal saß die übliche zusammengewürfelte
Gruppe von Leuten. Ein Kind mit urinfarbenem Gesicht saß zusammengekrümmt neben
seiner Mutter; vielleicht hatte es schon seit Wochen nicht mehr gepinkelt. Ein
umwerfendes Mädchen, ganz in Leder gekleidet, saß wachsam hinter der Village Voice. Zweifellos hatte sie sich irgendwo infiziert. Ein alter Mann
saß zitternd neben der Tür; seine Röhren und Ventile und Dichtungen waren so
alt und fehlerhaft, daß er wahrscheinlich durch den Nabel in einen
Plastikbeutel pinkelte.
»Aus welchem
Grund möchten Sie den Arzt sprechen?«
»Die
Wassermethode funktioniert nicht.« Dieser Satz ruft im Wartezimmer gespannte
Neugier hervor. »Die Wassermethode?«
»Richtig. Hat
kein bißchen angeschlagen.«
»Gut, Mr.…?«
»Trumper.«
»Haben Sie
Schmerzen, Mr. Trumper?« Ich spüre, daß die Mutter mit dem geschwollenen Kind
die Ohren spitzt; das Mädchen in Leder krallt sich an der Zeitung
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