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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sofort, Couth«,
antwortete Biggie, »laß mich nur noch schnell den Abwasch machen.«
    [199]  Aber
Couth beneidete Kinder mehr als Ehefrauen. Er sagte mir immer wieder, daß er
mehr von eigenen Sprößlingen als von Partnern hielt. Er mochte Biggie, aber ich
glaube, daß Colm es ihm mehr angetan hatte. Er fragte mich immer, was ich mit
ihm so anstellte, und war verblüfft, daß ich längere Zeit überlegen mußte. Das
einzige, was ich ihm sagen konnte, war, daß Kinder das Leben grundlegend
verändern.
    »Klar, das hab
ich mir gedacht«, meinte er.
    »Nein, ich
meine, sie machen einen geradezu verrückt.«
    »Du warst doch
schon immer verrückt.«
    »Aber mit
Kindern ist das etwas ganz anderes«, erwiderte ich und konnte nicht erklären,
was so ganz anders war. Ich habe Merrill einmal davon geschrieben. Ich habe
geschrieben, daß Kinder einem plötzlich das Gefühl der eigenen Sterblichkeit
vermitteln, etwas, was Merrill mit Sicherheit fremd war; er hat mir nie darauf
geantwortet. Aber ich wollte damit einfach nur sagen, daß man feststellte, wie
sich die eigenen Prioritäten geändert hatten. Zum Beispiel bin ich früher gern
Motorrad gefahren; nachdem Colm geboren war, konnte ich mich nicht mehr auf so
ein Ding draufsetzen. Ich glaube nicht, daß das nur mit Verantwortung
zusammenhängt; es ist nur so, daß Kinder einem eine Vorstellung von der Zeit
vermitteln. Es war, als wäre mir nie zuvor klar gewesen, wie die Zeit
verstreicht.
    Außerdem
brachte ich Colm scheinbar unnatürliche Gefühle entgegen. Das heißt, ich wollte
ihn in einer simulierten natürlichen Umwelt aufwachsen lassen – einer Art Weide
oder Korral – statt in der schauerlichen, wirklichen Umwelt selbst, die mir zu
gefährlich erschien. Ihn in eine Glashaube setzen! Freunde erfinden, eine
befriedigende Arbeit, ihn mit einigen nicht allzu schwierigen Problemen
konfrontieren, Schwierigkeiten simulieren (bis zu einem gewissen Grad), ein
paar sorgsam ausgewählte Gefahren auf ihn zukommen lassen, aber so, daß er am
Ende gewinnt – nichts allzu Unvernünftiges.
    [200]  »Du
meinst, ihn sozusagen weiden lassen, wie eine Kuh?« fragte Couth. »Aber er
würde doch ein kleiner Stier werden, oder?«
    »Rinder sind sicher, Couth,
und sie sind zufrieden .«
    »Rindviecher
sind Rindviecher, Bogus.«
    Biggie stimmte
Couth zu. Als ich Colm erlaubte, mit dem Dreirad um den Block zu fahren, machte
ich mir Sorgen um ihn. Biggie war der Meinung, es sei wichtig, dem Kind
Selbstvertrauen zu geben. Das war mir klar; dennoch schlich ich hinter den
Büschen um den Block herum, folgte ihm, ohne daß er mich sehen konnte. In
meiner Vorstellung war ein Vater so etwas wie ein Schutzengel. Wenn Colm mich
sah, wie ich einen Ast der Hecke zurückbog und nach ihm Ausschau hielt, sagte
ich ihm immer, ich wolle nur etwas in der Hecke beobachten. Ich versuchte, auch
ihn für solche sicheren Untersuchungen zu interessieren. Besser, als wenn du
dich mit dem Dreirad in Gefahr begibst! Führ doch lieber ein beschauliches
Leben in der ungefährlichen Hecke!
    Ich fand sogar
einen Ort, den ich für ein kontrollierbares Umfeld hielt: den Zoo von Iowa
City. Keine Überlebens- oder Todeskämpfe, keine Fehlschläge.
    »Wir kommen
jeden Tag hierher«, beschwerte sich Colm dann.
    »Magst du die
Tiere nicht?«
    »Doch…« Aber im
Winter gab es nur vier oder fünf Tiere. »Mami geht mit mir immer dahin «, sagte Colm dann und zeigte über
den Fluß auf die Stadt und die Gebäude der Universität.
    »Da sind doch
nur Menschen«, erklärte ich ihm. »Keine Waschbären.« Nur Menschen; wenn wir
dahin gingen, könnten wir vielleicht einen weinen sehen – oder noch schlimmer.
    Wenn wir mit
dem Einkaufen fertig waren, ging ich mit Colm immer durch den Zoo zurück. Im
November, als die Affen sich nach Süden oder in die Gehege im Innern verzogen
hatten und Biggie und ich schon eine Woche lang auf Nachricht von meinem
beleidigten Vater warteten, trugen Colm und ich das Brot, das wir [201]  fürs Frühstück gekauft
hatten, durch den Zoo nach Hause und ließen das meiste davon da.
    Wenn wir die
häßlichen Waschbären, einen ganzen knurrenden Clan, in ihren steinigen Zellen
fütterten, war Colm immer besorgt, daß die kleineren von dem Brot auch etwas
abbekamen. »Der da«, sagte er und deutete auf einen kleinen Feigling, und ich
versuchte, einen Brocken Brot möglichst nah zu dem kleinen Mistvieh zu werfen.
Jedesmal war ein dickerer, mürrischer Genosse vor ihm da, biß den Feigling in
den

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