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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hätte mir ein Auto ausleihen und ihn direkt
an der Haustür abholen sollen!«
    Tulpen führte
den immer noch lamentierenden Trumper von der Aussichtsterrasse fort und
brachte ihn rechtzeitig zum Ankunftstor. »Das werde ich mir nie verzeihen«,
brabbelte er. »Es war reiner Egoismus. Ich wollte nicht so eine weite Strecke
fahren. Und außerdem wollte ich Biggie nicht sehen müssen.«
    Tulpen spähte
durch das Tor. Unter den Passagieren befand sich nur ein Kind, das eine
Stewardeß an der Hand hielt. Sein Kopf reichte ihr gerade bis zur Hüfte, und er
schaute gelassen in die Menge; es schien, als halte die Stewardeß seine Hand
vor allem, weil sie Lust dazu hatte oder es brauchte; er hingegen duldete es
nur. Er war ein hübscher Junge, mit der wunderschönen Haut seiner Mutter, doch
er hatte die dunklen, offenen Gesichtszüge seines Vaters. Er trug eine
Lederhose, Wanderstiefel und eine Tiroler Strickjacke über einem neuen weißen
Hemd. Die Stewardeß hatte einen Rucksack in der Hand.
    »Trumper?«
meinte Tulpen und zeigte auf den Jungen. Doch Trumper schaute in die falsche
Richtung. Dann sah der Junge Bogus, ließ die Hand der Stewardeß los, bat um
seinen Rucksack und zeigte auf seinen Vater, der gerade eine verrückte
Pirouette drehte und überall hinschaute, nur nicht an die richtige Stelle.
Tulpen mußte ihn mit aller Kraft in Colms Richtung drehen.
    »Colm!« schrie
Bogus. Nachdem er zu dem Jungen gestürzt war und ihn hochgehoben hatte, merkte
er, daß Colm etwas größer geworden war und es nicht mehr mochte, auf den Arm
genommen zu werden, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Aber Händeschütteln,
das wollte Colm.
    Trumper ließ
ihn wieder auf die Erde und schüttelte ihm die Hand. »Wow!« sagte Trumper und
grinste blöde.
    »Ich hab beim
Piloten gesessen«, sagte Colm.
    »Wow!«
entgegnete Bogus halblaut. Er betrachtete Colms [253]  österreichische Tracht und dachte, Biggie habe
das arme Kind für die Reise herausgeputzt wie ein Modell für ein
österreichisches Reiseunternehmen. Bogus hatte vergessen, daß er selbst diese
Tracht gekauft hatte, einschließlich des Rucksacks.
    »Mr. Trumper?«
sagte die Stewardeß mit pflichtschuldiger Fürsorge. »Ist das dein Vater?«
fragte sie Colm. Bogus hielt den Atem an und fragte sich, ob Colm es wohl
zugeben würde.
    »Klar«, sagte
Colm.
    »Klar, klar,
klar«, sagte Trumper die ganze Zeit, als sie den Flughafen verließen. Tulpen
trug Colms Rucksack und beobachtete die beiden, fasziniert von der Tatsache,
daß Colm offenbar den schwankenden Gang seines Vaters geerbt hatte.
    Bogus fragte
Colm, was er denn im Cockpit des Piloten alles gesehen habe.
    »Ganz viel
Elektrizität«, antwortete Colm.
    Im Taxi fing
Bogus von den vielen Autos an. Hatte Colm jemals so viele Autos gesehen? Hatte
er jemals so schlechte Luft eingeatmet? Tulpen hatte den Rucksack auf dem Schoß
liegen und biß sich auf die Unterlippe. Sie stand kurz davor, zu weinen; Bogus
hatte sie nicht einmal vorgestellt.
    Dieses
peinliche Ereignis fand in Tulpens Wohnung statt. Colm war von den Fischen und
den Wasserschildkröten fasziniert. Wie hießen sie? Wer hatte sie gefangen? Da
erinnerte sich Bogus an Tulpen und auch daran, daß sie wegen Colm genauso
nervös gewesen war wie er. Was aßen Fünfjährige, hatte sie wissen wollen, wie
groß waren sie, was machten sie gerne, wann gingen sie schlafen? Plötzlich
erkannte Bogus, wie wichtig er für sie war, und ein Schauer lief ihm über den
Rücken. Für sie war es beinahe so wichtig wie für ihn, von Colm gemocht zu
werden.
    »Es tut mir
leid, es tut mir echt leid«, flüsterte er ihr in der Küche zu. Sie bereitete
einen Snack für die Wasserschildkröten, damit Colm sie füttern konnte.
    »Ist schon
okay, ist schon okay«, sagte sie. »Er ist ein [254]  wunderschönes Kind, Trumper. Was meinst du? Ist
er nicht wunderschön?«
    »Ja«, flüsterte
Bogus und ging zurück ins andere Zimmer, um Colm und den Wasserschildkröten
zuzusehen.
    »Die leben in
Süßwasser, oder?« fragte Colm.
    Trumper wußte
es nicht.
    »Richtig«,
sagte Tulpen. »Hast du schon mal Wasserschildkröten im Meer gesehen?«
    »Ich hab eine«,
antwortete Colm. »Couth hat eine gefangen, sooo groß war die.« Er streckte die
Arme aus – zu weit, wie Bogus fand; so eine große konnte Couth in Georgetown
niemals gefangen haben, doch die Übertreibung war Colms Alter angemessen. »Wir
müssen ihr jeden Tag frisches Wasser geben. Meerwasser, das ist Salzwasser.
Hier drin würde sie

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