Die wilde Jagd - Roman
geworden, dass Teia sie nicht mehr heben konnte. Sie spähte unter Finns Kinn hindurch und begegnete Ythas Blick. Der Hund neben der Sprecherin sah sie unheilvoll an und schien zu grinsen.
»Komm hervor, sodass wir alle dich sehen können, Kind.«
Langsam verließ sie die Deckung und trat ihrer Sprecherin entgegen. Nun, da sie erwischt worden war, fühlte sie sich ruhig und gefasst. Das war das Ende. Sie hatte eine ungefähre Vorstellung von dem, was nun geschehen würde, und sie hatte nichts mehr zu verlieren.
Sie tauchte ein in die Musik und spann eine Kugel aus kaltem, bleichem Licht über ihrem Kopf. »Kannst du mich jetzt sehen, Ytha?«, fragte sie. Ihre Stimme klang fest.
»Wohin gehst du?«
»Ich verlasse den Clan.«
Sie sah, wie Drwyn neben Ytha die Stirn runzelte und die Hand ausstreckte, als wollte er die Sprecherin am Arm berühren. Ytha hob das Kinn ein wenig, und er senkte die Hand.
»Ich verstehe. Und wohin willst du gehen?«
»So weit weg von Euch und Eurer Narrheit, wie es mir möglich ist. Es tut mir nur leid, dass ich nicht alle mitnehmen und ihnen ersparen kann, was kommen wird.«
»Und was soll das sein? Die Hunde sind bereits hier, Teia. Der Sieg wartet auf uns.«
Teia holte tief Luft. Sie konnte nicht länger schweigen; sie musste aussprechen, was sie gesehen hatte, und hoffen, dass jemand auf sie hörte. Vielleicht konnte sie sogar Drwyn zur Vernunft bringen. Doch dann begegnete sie seinem Blick und erkannte, dass die Ankunft der Hunde diese zerbrechliche Hoffnung zunichte gemacht hatte. Er mochte inzwischen nachsichtiger mit ihr sein und sie sogar ein wenig respektieren, aber er hatte nur seinen Ruhm im Blick.
»Wenn Ihr mit der Wilden Jagd ausreitet, Ytha, dann wird sie sich gegen Euch wenden.«
Der Hund, der zu Ythas Füßen lag, richtete sich auf und wandte sich ihr zu, dann erstarrte er. Aus zwei tiefen Kehlen ertönte ein Knurren wie ein Grollen aus einem Bergschlund.
»Ihr wisst, dass ich es gesehen habe. Ihr selbst habt es ebenfalls gesehen, als Ihr mich zur Blutvision geholt habt.«
Ytha kräuselte die Lippen. »Ich habe die ängstlichen Einbildungen eines Kindes gesehen, das war alles. Du hast mich seit Jahren hintergangen, Mädchen, und deine Gabe vor mir verborgen, obwohl das Clangesetz dies verbietet. Warum sollte ich den Worten einer ausgewiesenen Lügnerin Glauben schenken?«
Ein Seufzen fuhr durch die unter der Plattform versammelte Menge. Alle Augen richteten sich auf Teia, aber sie war ganz in ihre Magie eingehüllt, und die Blicke tropften von ihr ab wie Wasser.
»Es war eine Weissagung. In Eurem tiefsten Herzen wisst Ihr, dass es die Wahrheit ist. Der dunklen Göttin darf man nicht trauen. Sie hat Euch zwar ihr Wort gegeben, aber keinen Beweis dafür, dass sie es auch halten wird.«
»Diese Hunde sind ihr Beweis!«
»Diese Hunde gehorchen nicht Euch, Ytha, sondern nur ihr.«
»Teisha, was tust du da?«
Teia sah nach unten. Ihre Mutter drängte sich durch die Menge und stieß die Zuschauer mit ihren dicken Ellbogen zur Seite. Ihr Gesicht war ganz zerknittert vor Sorge.
»Ich tue, was ich tun muss, Mama. Jemand muss doch auf die Dummheit der Sprecherin hinweisen, solange es noch nicht zu spät ist.«
Spöttisches Gelächter hallte durch die Höhle.
»Hört euch dieses Kind an«, höhnte Ytha. »Sie wagt es, mich der Dummheit zu bezichtigen. Du bist die Närrin hier, Teia. Höre auf deine Mutter, und kehre zu deiner Familie zurück. Dein Häuptling erwartet seine Frau am Herd.«
Teia hob den Kopf. »Nein.«
Ytha zog die sandfarbenen Brauen hoch. »Dies ist das letzte Mal, dass du mir Widerstand leistest.«
Teia erwartete einen Peitschenhieb und umgab sich mit dem Schild ihrer Magie. Eine klirrende, misstönende Note erklang in dem Sang in ihr, als ihre Kraft gegen eine andere prallte, und Ytha zuckte zusammen.
»Und dies wird das letzte Mal sein, dass Ihr versucht, mich zu etwas zu zwingen. Ich habe keine Angst mehr vor Euch.«
Mit einem Knurren griff die Sprecherin wieder nach ihrer Magie, aber dank ihres Unterrichts war Teia schneller. Eine Hand aus erstarrter Luft schlug Ytha gegen den Mund, und sie taumelte rückwärts.
»Verdammtes Biest!«, kreischte sie. Ein Tropfen Blut fiel von ihrer Lippe; er wirkte schwarz im Perlmuttglanz des Lichtes. Die Sternensaat an ihrer Hand blinkte.
Ythas Hammerschläge donnerten gegen Teias Schild und prallten harmlos ab, auch wenn er jedes Mal wie ein Trommelfell erzitterte. Sogar Finn schien es zu spüren; er
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