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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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die Hände und sagte: »Dann geh. Meinen Segen hast du.«

2 9
    Der Sandsturm hatte nicht lange nach der Morgendämmerung eingesetzt. Zuerst hatte sich der Horizont schlammbraun verfärbt, und innerhalb einer Stunde waren die Sandwolken zu einer brodelnden Wand geworden, die sich mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes durch die Wüste schob. Sie zischte, brüllte, schluckte die Sonne und zerschmetterte alles, was ihr im Weg stand.
    Gair lag auf Shahes Hals, während ihre Mähne ihm ins Gesicht peitschte, und er zwang sie, mit Alderans trabendem Hengst mitzuhalten. Der Sturm hatte sie schon fast erreicht und war so heiß wie der Atem eines Schmelzofens.
    »Wir müssen einen Unterschlupf finden!«, rief er. Der Sandschal dämpfte seine Stimme, aber er wagte es nicht, ihn zu senken. Die Sandkörner in der Luft stachen schmerzhafter in die Haut als ein Schwarm von Beißlingen.
    Alderan deutete auf die Stadtmauer vor ihnen. »Sieh nur, wir sind fast da!«
    Das Löwentor von El Maqqam ragte aus dem wirbelnden Dunst hervor. Weit aufklaffende Kiefer rahmten das Tor, und hölzerne Läden bedeckten Augenlidern gleich die Wachtstubenfenster unter den tief heruntergezogenen roten Steinbrauen des Ungetüms. Der eine der mit schweren Nägeln beschlagenen Torflügel war bereits geschlossen, und zwei verschwommene Gestalten kämpften gerade mit dem zweiten.
    »Wie weit ist es noch bis zum Tochterhaus?«, rief Gair zurück.
    »Nicht mehr weit, sobald wir drinnen sind. Schnell, bevor das Tor ganz geschlossen wird!«
    Der herannahende Sturm heulte um die Mauern. Eine der verschwommenen Gestalten am Tor bedeutete ihnen, sie sollten sich beeilen. Gair ließ Shahe die Zügel schießen. Sie überholte Alderans Grauen und preschte auf den Torbogen zu, stürmte unter ihm hindurch und kam zu einem Platz, der von niedrigen, nur noch undeutlich erkennbaren Gebäuden eingerahmt war. Gair zügelte sein Reittier, warf einen Blick über die Schulter und sah gerade noch, wie der alte Mann in die Stadt ritt, während der Sand ihn bereits umwölkte. Die dick vermummten Wachen schlossen den zweiten Torflügel so knapp hinter ihm, dass sie dem Pferd beinahe den Schweif eingeklemmt hätten. Sie senkten einen gewaltigen Balken, der an einer Kette hing, in Halterungen am Tor und verschwanden dann ohne ein Wort im Torhaus und schlugen die Tür hinter sich zu.
    Innerhalb der Stadtmauern blies der Sturm nicht so stark, doch einzelne Windstöße wirbelten den Sand auf dem Platz umher und schnitten Kräuselmuster in die staubige Erde, die bald an einen Strand bei Ebbe erinnerte. Gair wagte es, seinen Schal herunterzuziehen.
    »Ein freundliches Völkchen«, keuchte er. Der Wettlauf mit dem Sandsturm hatte ihn atemlos gemacht.
    »Sie wollen nur den Sandsturm überstehen, genau wie wir«, sagte Alderan. »Wenn er uns draußen erwischt hätte, hätte er uns die Haut vom Leibe gepeitscht – aber das kann noch immer passieren, und deshalb sollten wir uns beeilen, zum Tochterhaus zu kommen. Dort gibt es eine Gästehalle, in der wir uns ausruhen können.«
    Er führte sie über den Platz und eine breite Straße hinunter. Nur wenige Bewohner waren zu sehen, und sie alle eilten nach Hause, hatten die Köpfe geneigt und hielten sich Sandschals oder Barouks vors Gesicht. Staubteufel tanzten zwischen den rosafarbenen Steingebäuden mit ihren verschlossenen Fenstern und Türen, sprangen auf und legten sich wieder, als ob sie von launenhaften Fingern aufgewirbelt würden. Die Palmen, die in der Mitte der Straße gepflanzt waren, schüttelten ihre Wedel im immer stärker werdenden Wind.
    Mehr und mehr Staub trieb in der Luft und verdunkelte den teefarbenen Himmel. Umherfliegender Sand stach ihnen in Hände und Haut und hinterließ winzige Körner zwischen ihren Zähnen. Wenige Minuten nach dem Betreten der Stadt mussten sie absteigen und den Pferden Stofflappen vor die Augen binden. Dann führten sie die Tiere durch den Sturm, der über den Hausdächern schrie; es hörte sich an, als reibe Stahl über einen Wetzstein.
    »Wie weit noch?«, rief Gair.
    Alderan hielt den Kopf in den Wind und deutete in den Dunst. Sandschleier verhüllten die Straße vor ihnen, und die Gebäude waren nur als undeutliche Umrisse zu erkennen. Obwohl sich Gair die Hand vor das Gesicht hielt, musste er die Augen zu Schlitzen zusammenkneifen und prallte gegen Alderans Pferd, als der alte Mann plötzlich stehen blieb.
    »Da ist es.« Er deutete auf eine massive zweiflügelige Tür in dem

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