Die wilde Jagd - Roman
nicht erwidert wurde, schaute sie weder böse drein, noch hielt sie in ihrer Arbeit inne. Allen wurde etwas zu essen gegeben.
Vielleicht war ihr Lächeln der Grund, aber die Narben schienen heute nicht mehr so grell zu sein, auch wenn es schwer war, dies aus der Entfernung zu beurteilen. Als ob sie seinen Blick gespürt hätte, schaute sie auf. Diesmal war ihr Lächeln nur für ihn bestimmt, und sie neigte den Kopf. Er nickte ihr zu.
Sie hatte ihm gegenüber nichts von dem erwähnt, was in der Kapelle geschehen war. Er wusste nicht, ob ihr klar war, was er getan hatte, oder ob sie sich einfach nicht mehr daran erinnerte, denn als er versucht hatte sich zu entschuldigen, hatte sie bloß eine abwehrende Handbewegung gemacht.
Plötzlich zerstreuten sich die Frauen und ließen dabei ihre bescheidenen Nahrungsmittel fallen. Stiefel traten sie aus dem Weg, grobe Hände stießen ihre Kinder weg, und die Kleinsten jammerten los.
Gair drehte sich auf seinem Wagensitz um. Fünf Männer bahnten sich einen Weg zu den beiden Nonnen; die Sandschleier hingen ihnen lose auf der Brust. Ihre Kleidung war staubig und unscheinbar, wenn man von ihren hellgelben Schärpen absah, in denen schartige Qatans steckten, doch sie benahmen sich, als wären sie Prinzen.
Gelbe Schärpen. Sonnengelb. Kultisten. Sie trugen ihre Zeichen nicht unter den Hemden, so wie es in Zhiman-dar üblich war, sondern offen und stolz, und sie hatten die Daumen in die Schärpen gesteckt, was die Blicke noch deutlicher auf sie lenkte. Sogar die Art, wie sie sich umsahen, sorgte dafür, dass sie allgemeine Aufmerksamkeit erregten.
Gair zog sein Schwert noch näher zu sich heran.
Der Größte und Breiteste der fünf trat vor die Gruppe und glättete seinen ausladenden Schnauzbart mit Zeigefinger und Daumen. Resa war niedergekniet, um ein weinendes Kind zu beruhigen, und Avis versuchte die beiden abzuschirmen, indem sie vor die Männer trat, doch die jüngere Nonne duldete das nicht. Sie stand auf, stellte sich neben Avis und sah den Kultisten mit erhobenem Haupt an, während sie die Hände vor dem Bauch faltete. Das schluchzende Kind spähte hinter ihrem Rock hervor; sein Gesicht war feucht vor Tränen.
»Wieder da?«, höhnte der Anführer in der gemeinsamen Sprache; vermutlich wollte er die im Norden geborene Avis einschüchtern. Er spuckte vor Resas Füßen auf den Boden. »Ich dachte, du hast deine Lektion gelernt.«
Die Wut loderte immer heißer in Gairs Brust. Dieser aufgeblasene Bastard hatte etwas mit dem Angriff auf die Schwestern zu tun.
»Wir leisten hier gute Arbeit«, sagte Avis. Ihre Stimme zitterte. »Wir schaden niemandem, wenn wir den Armen zu essen geben.«
»Wir können uns selbst um unsere Leute kümmern«, fuhr sie einer der anderen an. »Wir brauchen eure Verderbtheit nicht.«
Der Anführer hob einen zu Boden gefallenen Brotlaib auf, brach ihn in zwei Hälften und roch übertrieben daran. »Vergiftet?«, fragte er und warf das Brot weg. »Oder vergiftet ihr unsere Kinder nur mit euren Lügen?«
Er packte das Kind an den Schultern und zerrte es von Resa weg, wobei er die Schluchzer und die flehend ausgestreckten Hände des kleinen Jungen nicht beachtete.
Dieser entwand sich dem Griff des Mannes, rannte zurück zu der Nonne und klammerte sich an ihre Beine. Schützend legte sie den Arm um ihn.
Die übrigen Kultisten sahen sie finster an und legten die Hände auf den Griff ihrer Schwerter. Gair hoffte, dass ihre ganze Aufmerksamkeit auf die beiden Schwestern gerichtet blieb, und bückte sich nach seiner eigenen Klinge.
Schwester Avis schüttelte den Kopf. »Das Wort der Göttin ist keine Lüge, sondern die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«
»Eine falsche Wahrheit!«, fuhr sie der Mann an. »Es gibt keine Göttin!«
Spucke sprühte der Nonne ins Gesicht, und sie zuckte zurück. Der Kultist ergriff das kleine hölzerne Abbild der Eiche, das ihr vor der Brust hing, und riss mit einer heftigen Bewegung die Schnur entzwei.
»Wo ist denn ihre Macht jetzt, hä?« Er warf die Eiche in den Staub, trat darauf herum und zerstampfte sie. Avis erbleichte, regte sich aber nicht. »Hier hat sie keine Macht.«
»Ihre Macht ist in den Herzen aller guten Menschen«, sagte die Nonne. »Sie ist in uns allen, und wenn du es zulassen würdest, könntest du sie ebenfalls spüren.«
»Lügen!«
Der Kultist versetzte Avis eine Ohrfeige. Sie taumelte gegen Resa; Blut rötete ihre Lippen.
Gair packte sein Schwert und sprang vom Wagen. »Es
Weitere Kostenlose Bücher