Die wilde Jagd - Roman
leichter.«
Er schenkte ihr einen leeren Blick. Seine Augen wirkten im Feuerschein wie polierte Steine. »Das gefällt mir nicht.«
»Ich werde keine Menschen schutzlos zurücklassen, Baer, nicht einmal Maenardh. Nicht als Beute für die Wilde Jagd.« Sie schluckte und dachte an ihren letzten Blick ins Wasser. »Jeden Tag spüre ich, wie Maegern näher kommt.«
Der Häuptling, der kein Häuptling war, starrte sie weiterhin an und senkte schließlich den Kopf. Er verzog die Lippen und deutete damit an, dass er nicht glücklich darüber war, aber auch nicht mit ihr streiten wollte.
»Wie du wünschst, Banfaíth.« Er seufzte; sein Atem dampfte in der Nachtluft. »Ich werde einen Späher auf einem der Ponys losschicken. Er kann uns auf der anderen Seite des Höhenzugs einholen.«
Dann stellte er seinen Becher ab und schritt hinaus in die Nacht.
Als am Morgen nicht der Mann, der im Grunde der Häuptling der Gruppe war, sondern Isaak an ihrer Feuerstelle erschien, wusste Teia, dass der Späher, den Baer auf den Weg zurück geschickt hatte, er selbst war. Nun musste sie seine Leute allein anführen.
3 4
Tanith lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm einer vom Blitz gespaltenen Eiche und behielt den brodelnden Topf über dem Feuer im Auge. Sie wartete darauf, dass ein Führer erschien. Sie hatte das Feuer sorgfältig auf der nackten Erde angelegt, mit Steinen eingegrenzt und nur Fallholz benutzt. Es wäre unklug gewesen, in den Wäldern von Bregorin sorglos mit offenem Feuer umzugehen, wenn sie erwartete, Hilfe von den Einheimischen zu erhalten.
Ein uralter Wald umgab sie. Buchen, die so dick wie Brückenpfeiler waren. Kastanien, deren gewaltige Äste unter ihrem eigenen Gewicht tief herabhingen. Alle Bäume waren mit dickem Moos überzogen, das wie ausgefranster Samt wirkte. Sogar die Luft unter dem dichten Blätterdach fühlte sich zeitenschwer an.
Mit ihrer gespaltenen Krone und den hellen, frischen Blättern markierte die Eiche den Punkt im Wald, bis zu dem Tanith hatte vordringen können. Nicht, dass das Vorankommen schwierig gewesen wäre. Im Gegenteil. Denn die Bäume standen weit auseinander, und die tiefsten Äste hingen noch immer so hoch, dass man bequem unter ihnen hindurchreiten konnte. Aber welche Richtung Tanith auch immer einschlug, stets fand sie sich wenige Minuten später bei der Eiche wieder, obwohl sie jedes Mal gezielt geradeaus geritten war. Der Wald wollte sie einfach nicht weiter vordringen lassen. Sie musste hier auf ihren Führer warten.
So hatte sie den ganzen Tag mit Warten verbracht. Sie hatte Brot gebacken und in ihrem Buch gelesen. Mit dem Rücken gegen die Eiche gelehnt dagesessen und beobachtet, wie das Wild geistergleich durch den Wald huschte. Sie hatte auf das Atmen des Waldes um sie herum gelauscht und darauf gewartet, dass sich ihr Führer zeigte. Vermutlich wusste er bereits, dass sie hier war.
Sie rührte in ihrem Haseneintopf, deckte ihn wieder ab und legte den Löffel auf ihren Teller. Sogar das Klappern von Metall auf Metall klang gedämpft. In der Ferne hackte ein Specht; es war eine Salve aus Klopftönen, dann setzte wieder Stille ein.
Als sie nach dem fünftägigen Ritt von ihrem Haus am Rande des Sees im Wald eingetroffen war, hatte sie sofort eine Gegenwart zwischen den Bäumen wahrgenommen. Zuerst war sie sich nicht sicher gewesen, ob es nur die geduldige Stille war, die sich unter den altehrwürdigen Bäumen gesammelt hatte, doch gestern hatte sie gespürt, dass jemand sie beobachtete. Ein fremdes Bewusstsein war über ihre Farben gefahren wie ein Spinnengewebe; es war so fein gewesen, dass sie es kaum erkannt hatte, und als sie danach geforscht hatte, hatte sie nichts gefunden. Nicht mit den Augen, nicht mit ihrem Sang. Um sich herum spürte sie nichts als Leben – langsam und schläfrig in den Bäumen, stechend scharf in den Farnen, die sich zwischen den bemoosten Steinen entrollten, hell und rege in den unsichtbaren Vögeln. Der Wald brodelte vor Leben; es gab Käfer und Tausendfüßler und Motten, deren Flügel an Flechten erinnerten. Tausend Augenpaare sahen sie, aber keines gehörte demjenigen, der sie beobachtete.
Tanith machte es sich an dem Eichenstamm mit dem Moospelz noch bequemer und schloss die Augen. Sie musste Geduld haben; er würde sich ihr zeigen, wenn er es für richtig hielt. Falls sie versuchen sollte, ihn aufzuspüren oder ihre Zusammenkunft zu erzwingen, würde er vermutlich gar nicht erscheinen, und sie würde lange Umwege nach
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