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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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konnte. Aus ihrer Gürteltasche zog sie eine kleine Bronzeschale hervor, die sie seit dem Beginn ihrer Reise bei sich trug. Sie gab etwas Schnee hinein und benutzte ihre Gabe, um ihn zu schmelzen. Teia balancierte die Schale mit den Händen auf der Rundung ihres Bauches und öffnete sich dem, was das Wasser ihr zeigen mochte.
    Feuer auf der Ebene. Rennen. Sterben. Maegerns scheuendes Pferd. Scharlachrot und Schwarz, Asche und Blut. Nichts Neues. Das Bild verwandelte sich in das starrende Auge auf dem Schild der dunklen Göttin; es war scheußlich lebendig, sah sie an, kannte sie und ihre tiefsten Ängste und geheimsten Wünsche. Dann blinzelte es und öffnete sich als menschliches Auge, blau in einem verdreckten Gesicht.
    Teia brauchte einen Moment, bis sie begriffen hatte, dass es ihr eigenes Gesicht war; es war so hohlwangig und hart wie das einer Fremden. Eine Locke aus weißem Haar hing über der grausamen Narbe an ihrer Stirn. Instinktiv betastete Teia sie, und die Frau im Wasser hob ebenfalls die Hand an ihre Narbe.
    Es entsprach der Wahrheit. Sie hatte die erste weiße Strähne entdeckt, als sie sich am Morgen die Haare gebürstet und dabei den kleinen Spiegel benutzt hatte, den Drwyn ihr gegeben hatte. Es war noch nicht viel, aber es war ein Hinweis auf das Kommende.
    Zeig es mir .
    Dunkelheit.
    Zeig es mir .
    So vollkommene Dunkelheit, dass die Schale zwischen ihren Händen zu einem Loch in der Welt wurde. Das Tageslicht drang nicht hinein, und die Brise kräuselte die Oberfläche nicht. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich und öffnete sich der Vision so weit, wie es ihr mit ihren beschränkten Fähigkeiten möglich war. Es musste noch mehr Zukünftiges geben als nur dies.
    Zeig es mir!
    Aber die Dunkelheit blieb tief und unergründlich. Enttäuscht kippte Teia das Wasser aus der Schale; es spritzte auf die Steine zu ihren Füßen. Wenn sie von Ytha bloß mehr übers Weissagen gelernt hätte! Die letzten beiden Versuche hatten stets dasselbe gezeigt: nur die vertrauten Bilder und Schwärze. Bedeutete es Tod? Oder den Verlust ihrer Gabe? Oder hieß es bloß, dass Maegern und die Wilde Jagd triumphieren würden?
    Die leere Schale fiel aus ihren Händen auf den Fels, klirrte beim Aufprall, und Teia presste die zitternden Finger gegen den Mund. O Macha, führte sie die anderen am Geisterberg in ihren Untergang?
    »Banfaíth?« Baers Stimme erklang zwischen den Bäumen hinter ihr. Der Schnee knirschte, als er auf sie zukam.
    Rasch richtete sie sich auf, tastete nach ihrer Wahrsageschale und schüttelte die letzten Tropfen aus, als ob sie gerade fertig geworden wäre. Der Häuptling durfte die Banfaíth nicht ratlos sehen, und keinesfalls durfte sie vor ihm weinen. Schließlich schenkte er ihr sein Vertrauen und das der gesamten Gruppe.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er, als er sie erreicht hatte. Waren ihre Augen etwa gerötet?
    »Es geht mir gut, Baer.« Sie klang ruhiger, als sie sich fühlte. »Hat Isaak das Tier ausgeweidet?«
    »Ja. Ich glaube, heute Abend werden wir gut speisen.« Er schaute zum Himmel. »In einer oder zwei Stunden geht die Sonne unter. Wir sollten hier unser Lager aufschlagen und uns ein wenig ausruhen, solange wir es noch können.«
    »Der Meinung bin ich auch. Ich glaube, die Ponys werden ebenfalls froh sein. Die letzten Meilen sind für alle schwer gewesen.« Das bedeutete, dass sie noch mehr Zeit verloren, aber ein wenig Ruhe und eine warme Mahlzeit würde alle für die Herausforderungen der kommenden Tage stärken.
    Teia zwang sich, zuversichtlich zu wirken, und steckte die Schale zurück in ihren Gürtel. »Morgen früh reisen wir weiter.«
    Seine dunklen Augen betrachteten ihr Gesicht eingehend. »Unsere Richtung gilt noch?«
    Sie nickte nachdrücklich. »Unsere Richtung gilt noch.«
    Mehr konnten sie nicht tun.
    Das warme Abendessen war gut für die allgemeine Stimmung. Das frische, zarte und wohlschmeckende Fleisch tat sein Übriges dazu, und die Atmosphäre um das Feuer wurde entspannt, beinahe fröhlich. Der eine oder andere warf rasche, unbehagliche Blicke hoch zu dem fischschwänzigen Berg, aber da sie in dieser bewölkten Nacht kaum etwas erkennen konnten, war der Inhalt der Schüsseln für sie am Ende doch interessanter. Sogar Gerna beschwerte sich nicht mehr, sondern stopfte sich das Wild in den Mund, bis ihr Kinn vor Fett glänzte.
    Nach dem Mahl verdoppelte Baer die Wachen. Teia beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während Lenna Tee kochte, und stellte

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