Die wilde Jagd - Roman
der Wind, der um die Türme von Renngalds Festung pfiff, peitschte ihm das Haar ins Gesicht. Er warf es zurück und betrachtete mit schmalen Augen das Bild, das sich in der metallenen Schüssel auf dem eisernen Dreifuß vor ihm zeigte. Es war ein winziges Schiff auf stürmischer See, das immer wieder verschwamm, da der Regen auf das seichte Wasser peitschte. Ein Mast, so schmal wie ein Zahnstocher, war bereits gebrochen; sicherlich würde es nicht lange dauern, bis auch die anderen folgten, doch irgendwie kämpfte sich das Schiff weiter voran. Es nahm jede Welle, die sich vor ihm auftürmte, und brach nicht auseinander, wenn es in das Tal dahinter hinabstürzte. Wie ein schützender Mantel war das Gewebe des Sanges um es gebreitet, das die Kraft des Sturms abfing.
Der Wächter war der Schöpfer dieses glitzernden Gewebes. Savin spürte seinen Willen. Nach so vielen Jahren erkannte er Alderans Werk nur allzu deutlich, aber die Kraft, die jeder einzelnen Faser die Stärke einer Ankerkette verlieh, kam von dem Jungen. Er war noch nicht gut ausgebildet, doch zusammengenommen vermochten es seine Stärke und die Geschicklichkeit des alten Mannes, einen Sturm abzuwehren, der das ganze Schiff längst zu Kleinholz hätte machen müssen.
Sein Name war Gair, hatte der Mann in Mesarild noch kurz vor seinem Tode gesagt. Er war ein vaterloser Bastard, den die Kirche verbannt hatte, ein Niemand, wäre da nicht seine Gabe gewesen. Sie sind zu den Inseln unterwegs, das ist alles, was ich weiß. Bei der Göttin, bitte, es tut so weh …
Es hatte das eine Auge der Frau gekostet, dies zu erfahren, obwohl sie ihm doch versprochen hatten, dass sie ihm alles verraten würden, was sie wussten. Anscheinend war Alderan ihnen gegenüber genauso wortkarg gewesen wie allen anderen gegenüber. Doch hatte Savin wenigstens die Richtung erfahren, und den Rest hatte ein wenig Silber in den richtigen Händen erledigt. Jetzt bot sich ihm endlich die Gelegenheit, den alten Wichtigtuer loszuwerden.
Er packte den Rand der Schüssel so fest, dass ihm die Kälte des Metalls in die Fingerspitzen biss, und strengte sich mit aller Macht an. Die Kraft sang über ihm, sang in ihm, und er lenkte sie in den Sturm, den er erschaffen hatte.
Der Wind wurde wieder stärker und drückte gegen das glitzernde Gewebe des alten Mannes. Das Schiff schwankte, sein einzig verbliebenes Toppsegel blähte sich heftig. Ganz langsam nahm es Fahrt auf in Richtung Süden und näherte sich den schäumenden Untiefen, die am Rande des Bildes sichtbar waren.
Die nördlichen Sturmwinde heulten um Savin herum und warfen das Kaldsmirgen-Meer donnernd gegen die Felsen unterhalb der Burg. Obwohl der Sturm sein Gesicht peitschte und geißelte, hatte Savin die Lippen zu einem Grinsen verzogen. Dieser Junge war stark, aber Savin kannte die Kniffe des Wächters nur zu gut. Er beobachtete ihn seit vielen Jahren.
Du musst dich noch mehr anstrengen, wenn du mich schlagen willst, alter Mann!
Allmählich franste das gewölbte Gewebe des Sangs, der das ferne Schiff schützte, unter dem Druck von Sturm und Wasser aus. Es würde nur noch wenige Minuten standhalten, dann würden sich die Untiefen das Schiff holen. Der Junge war keine echte Bedrohung. Ohne richtige Ausbildung und die Disziplin, die nötig war, um die Macht zu rufen und zu halten, war alle Kraft der Welt wirkungslos. Falls er den Sturm überlebte, was nicht sehr wahrscheinlich war, würde ihm seine eigene Gabe noch vor Jahresende zum Verhängnis werden. Kerzen, die zu hell brannten, neigten dazu, Feuer zu entfachen, wenn man nicht auf sie aufpasste.
Es war an der Zeit, die Sache zu beenden; Savin hatte noch andere Dinge zu erledigen. Er webte die Fäden seiner Kraft dichter und warf die Hand hoch in den Himmel. Körperliche Gesten waren zwar beim Wirken des Sangs unbedeutend, aber es war schon spät, und er langweilte sich; da geschah es nur allzu rasch, dass er in die Gewohnheiten seiner Kindheit zurückfiel.
Die Wolken über dem Meer, das in der Schüssel zu sehen war, zuckten und wurden von Blitz und Donner auseinandergerissen. Heulend erreichte der Sturm einen neuen Höhepunkt, und die See hob und senkte sich noch heftiger. Wellen zerstoben zu Gischt, nahmen ihm die Sicht, aber er brauchte nicht mehr zu sehen. Er spürte den Sturm in jeder Sehne und in jedem Muskel. Er war eins mit ihm, und der Sturm stand unter Savins Befehl.
Savin ballte die Faust und schlug zu.
Das schützende Gewebe gab nach, aber es riss nicht. Savin
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