Die wilde Jagd - Roman
nicht.«
»Aber Ihr kennt sein Gesicht.« Ein Flackern des Feuersangs bildete Alderans löwenhaftes, anmaßendes Antlitz aus einer der Kerzenflammen nach.
»Ihr müsst Euch irren«, beharrte der Mann. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen.«
»Mama, wer ist der Mann da?«, fragte eines der Kinder, der Kleidung nach zu urteilen, ein Junge, obwohl die schrillen Stimmen der Bälger in dem Alter alle gleich klangen. Seine Mutter drückte das Kind auf ihrem Schoß enger an sich und tastete nach der Hand des Jungen.
»Ein … Freund«, sagte sie mit einer Stimme, so brüchig wie vom ersten Frost.
Savin zwinkerte dem Jungen beruhigend zu. »Ja, ich bin ein Freund deines Vaters.«
»Bist du zum Essen gekommen?«
Er lachte nachsichtig. »So ungefähr. Warum? Möchtest du, dass ich bleibe?«
Plötzlich sträubten sich ihm die Nackenhaare, da jemand im Zimmer nach dem Sang griff. Er schaute über den Tisch, als die sorgfältig gedämpften Farben des Paares plötzlich zu strahlender Helle explodierten; jede Verstellung war nun überflüssig geworden.
»Dazu gibt es keine Notwendigkeit«, sagte er.
Der Mann warf das Tranchiermesser weg und ballte die Fäuste. »Hinaus aus meinem Haus«, knurrte er.
Savin schnalzte mit der Zunge. »Das wäre doch eine Schande, wo wir gerade anfangen, uns besser kennenzulernen.«
Er spürte, wie ihr Weben begann. Die Frau drückte die Kinder unter einem Schild gegen ihren Rock, während ihr Mann wie mit Fäusten auf Savin losging. Ein Aufflackern seiner eigenen Kraft lenkte die Schläge seitwärts ab, ein weiterer Schub warf den Mann rückwärts gegen die Vitrine, deren Glastüren zerbrachen. Schauteller purzelten von ihren Ständern und zerschellten am Boden.
»Egan!« Die Frau schrie den Namen ihres Mannes. Erstaunlicherweise erholte er sich rasch, schüttelte sich die Glassplitter aus den Haaren und sprang auf den Tisch zu. Seine Hand schloss sich um den Griff des Tranchiermessers.
»Das solltet Ihr besser nicht tun«, sagte Savin sanft, während die Kraft in ihm pulsierte. Das Messer kam auf ihn zu, die fettige Klinge glitzerte, und er stieß verärgert die Luft aus. Nie hörten ihm die Leute zu.
Ein Gedanke Savins fing das Messer ab und unterwarf es seinem Willen. Der Mann fluchte und warf sich mit seinem ganzen Gewicht nach vorn, doch weder Hand noch Arm ließen sich bewegen. Er packte sein Handgelenk und versuchte es zurückzuziehen, aber vergebens. Seine Finger waren so fest um den Griff geschlungen, als ob dieser ein Teil seines Körpers wäre.
»Was machst du mit mir?« Der Mann rollte mit der Schulter und versuchte, seine Hand aus dem Kraftfeld zu befreien. Dann nutzte er den Sang, um Schlag um Schlag gegen Savins Willen zu führen. Schweißperlen traten auf die Stirn des Mannes. Die beiden jüngeren Kinder weinten nun; sie waren zu jung, um die Kräfte zu verstehen, die um sie herum entfesselt wurden, und hielten sich die Ohren zu, um das Brüllen dieser Kräfte nicht mehr hören zu müssen.
»Ganz ruhig, meine Kleinen«, sagte die Mutter mit zitternder Stimme und drückte sie eng an sich. Unter der Seifenblase ihres Schildes waren ihre Augen glasig vor Tränen. »Es ist alles in Ordnung. Alles in Ordnung. Ganz ruhig.«
»Verdammt, lass mich los!«
Savin hielt den Kopf schräg und beobachtete, wie die Bemühungen des Mannes immer verzweifelter wurden. »Nein«, sagte er. »Das werde ich wohl kaum tun.«
Langsam beugte sein Wille den Arm des Mannes und hob ihn. Der Mann ahnte, was gleich geschehen würde, und versuchte den Kopf zurückzureißen, doch mittels Luftsang hielt Savin ihn fest.
»Bei der Göttin, lasst ihn los!«, jammerte seine Frau. »Bitte! Wir werden Euch alles sagen. Egan! «
Ohne hinzusehen, belegte Savin die Frau und ihre kreischenden Kinder mit einem Schweigezauber. Ihre Gedankenschläge prasselten auf ihn ein, aber sie besaß nicht die Kraft ihres Mannes, und so konnte Savin sie ohne Schwierigkeiten abwehren und beachtete sie nicht weiter. Stattdessen sah er zu, wie der Mann auf die stetig höher steigende Klinge starrte und ihr verzweifelt mit den Augen folgte, als sie auf seinen Hals zuglitt.
Kaum dass sie sein Blickfeld verlassen hatte, schloss er die Augen, röchelte und flüsterte: »Bitte …«
Das Messer drückte gegen den bulligen Hals des Mannes und hielt inne. Ein wenig Blut rann ihm in den Kragen und befleckte das weiße Hemd.
Savin setzte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte die fassungslosen Kinder an. Das Gesicht ihrer Mutter
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