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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Schade, dass er N’ril nicht gefragt hatte, was es bedeutete. Vielleicht besaß die Klinge einen Namen wie die Schwerter in den alten Geschichten: Arg oder Königstöter oder Dorn , wie Prinz Corums Schwert.
    Das brachte ihn dazu, an sein eigenes Schwert zu denken, das er bei N’ril in Zhiman-dar gelassen hatte. Es war eine einfache Soldatenwaffe in einer abgeschabten Scheide, die ihm sein Pflegevater in einem Augenblick bitterer Beschuldigung zugeworfen hatte. Es war das einzige Besitztum, das er aus Leah mitgebracht hatte. Alles andere – außer der Kleidung, die er am Leibe gehabt hatte – hatte er zurücklassen müssen. Auch nachdem er groß genug für die Länge und das Gewicht des Schwertes geworden war, hatte er es sich weiterhin auf den Rücken geschnallt, obwohl er es seit seinem dreizehnten Lebensjahr an der Hüfte hätte tragen können. Und er hatte es ganz zu seinem Eigentum gemacht.
    Es brauchte keinen Namen, aber wenn er ihm einen hätte geben müssen, dann hätte Gair genau gewusst, wie er lauten würde.
    Rache .
    Er packte den langen Griff des Qatan so fest, dass seine Knöchel weiß hervorstanden. In seiner Magengrube spürte er ein unangenehmes Schwirren, das ihm verdeutlichte, dass er weit weg von dem Ort war, an dem er eigentlich hätte sein sollen. An den meisten Tagen war es kaum mehr als ein vages Unwohlsein, als ob er etwas schwer Verdauliches gegessen hätte. Doch zu anderen Zeiten stieg es so dick und feurig in seinem Hals auf, dass er befürchtete, daran ersticken zu müssen.
    Ich kann nicht hierbleiben .
    Aber er hatte sein Wort gegeben, und er war kein Eidbrecher!
    Seit er den Hafen von Zhiman-dar verlassen hatte, war nichts richtig gelaufen: ein Hinterhalt im Souk , ein Sandsturm, mehr Kultisten, als selbst Alderan vermutet hatte, und sie hatten in der Bibliothek gar nichts herausgefunden. Die Wunde unter seinem Hemd pochte gleichmäßig. Nichts als Narben.
    Ich hätte niemals herkommen dürfen .
    Er knurrte vor Enttäuschung. Manchmal wollte man nur das Richtige tun, aber es verkehrte sich in sein Gegenteil und trat einem in den Hintern.
    Vorsichtig schleifte er die Klinge ein letztes Mal und vergewisserte sich, dass er keine Scharten oder Grate übersehen hatte, dann fuhr er mehrmals mit einem ölgetränkten Tuch über die Schneide, bevor er die Waffe wieder in die Scheide steckte. Trotz des trockenen Klimas konnte es nichts schaden, vorsichtig zu sein. Es gab nichts Schlimmeres, als wenn man sein Schwert ziehen musste und es in der Scheide feststeckte.
    Draußen jaulte irgendwo eine Katze, dann eine zweite, und ein kurzer, heftiger Kampf entbrannte. Er runzelte die Stirn und erkannte, wie spät es war. Die Ausgangssperre war schon lange in Kraft – es war mehr als eine Stunde nach der Abendglocke –, und Alderan war noch nicht zurückgekehrt.
    Er stand auf, öffnete den Laden des nächstgelegenen Fensters und spähte nach draußen. Das Präzeptorium auf der anderen Seite des vom Mond beschienenen Vorderhofes stand verschlossen und finster da; die Schwestern lagen schon lange in ihren Betten. Nichts bewegte sich, und abgesehen von einem Fensterladen, der in einiger Entfernung mit einem lauten Geräusch geschlossen wurde, hörte er nichts aus den angrenzenden Straßen.
    »Verdammt, Alderan«, murmelte er. »Wo zur Hölle bist du?«
    Er war so müde und erschöpft, dass er nicht lange stehen konnte; also schlich er zum Tisch zurück. Aber er musste feststellen, dass er zu rastlos war, um sitzen zu bleiben. Auch der Gedanke, allein im Archiv arbeiten zu müssen, widerte ihn an. Nach dem Abendessen hatte er sich kaum eine Stunde lang konzentrieren können, bevor er wie ein Tier im Käfig auf und ab geschritten war und die Grenzen seines Gefängnisses ausgemessen hatte.
    Er berührte die Teekanne neben seinem Becher. Kalt. Wenn er sich einen frischen Tee aufgoss, hätte er wenigstens etwas zu tun. Er füllte den Kessel mit Wasser aus der Zisterne in der Küche, dann hängte er ihn über das Feuer und schürte die Kohlen. Er ging zurück zum Fenster und hielt sorgenvoll nach Alderan Ausschau, während er darauf wartete, dass das Wasser kochte.
    Der Himmel draußen war klar und samtig dunkel. Miriel, der erste Mond, würde bald untergehen; der dreiviertelvolle Lumiel stand hoch über den fernen Türmen des Gouverneurspalastes und leuchtete hell wie ein Diamant in einer schwarzen Krone. Simiel, der dritte Mond, würde erst kurz vor der Morgendämmerung aufgehen, nachdem der Erste

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