Die wilde Jagd - Roman
ernähren. Unsere Familien werden hungern müssen, und wir werden sterben. Vielleicht nicht in diesem Winter und auch nicht im nächsten, aber schon sehr bald. Die Sprecherin der Crainnh hat eindeutige Vorzeichen gesehen. Ohne Raum zum Jagen, ohne unsere Ehre und Freiheit werden wir bald aufhören zu existieren. Für uns ist die Zeit gekommen, uns zurückzuholen, was uns gehört.«
Eine nette Rede. Allerdings stammte sie nicht von Drwyn. Sie zeigte Ythas Handschrift, dessen war sich Teia sicher. Und wer hatte ihm den plötzlichen Hunger auf Land eingegeben? Drw hatte keine Veranlassung zum Krieg gesehen. Trotz der Zahl der Clanmitglieder hatten die Herden ausgereicht, und er war zufrieden gewesen, solange er ihnen nur bis zum Ende seiner Tage über die Ebene folgen konnte. Stammte auch diese Idee von der Sprecherin, ebenso wie die sorgfältig gewählten Worte? Dieser Gedanke verursachte Teia eine Gänsehaut.
Die Häuptlinge und ihre Sprecherinnen mussten nun erst einmal verdauen, was Drwyn gesagt hatte. Einige nickten und murmelten miteinander, andere starrten auf den Boden oder hinüber zum See.
Manche, darunter Eirdubh, sahen Drwyn offen an und forderten ihn damit heraus, ihren Blicken standzuhalten.
Drwyn nahm die Herausforderung an. Er hielt den Kopf hoch, stand aufrecht und stolz da. So wie er sich hielt, musste auch Drw in seiner Jugend ausgesehen haben, und Teia verspürte einen scharfen Stich der Trauer. Offensichtlich waren die übrigen Häuptlinge der gleichen Ansicht. Sie konnte es in ihren Augen sehen und in der Art, wie sie ihn anerkennend betrachteten. Sein Aussehen sprach eindeutig für ihn.
Sie erinnerte sich daran, dass Ytha gesagt hatte, er müsse sich als der wahre Sohn seines Vaters erweisen, und nun erkannte sie allmählich, wie die Sprecherin nicht nur die Crainnh manipulierte, sondern auch die anderen Clans. Teia folgte in Gedanken dem vorgegebenen Pfad in die Zukunft und sah den Speer des Häuptlings der Häuptlinge an dessen Ende.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart und ließ das Bild wieder schärfer werden, das ein wenig verschwommen war, da sie sich selbst abgelenkt hatte. Nun sprach Eirdubh. Der Amhain-Häuptling hatte sich erhoben. Er war ein drahtiger Mann in Leder und Pelz, und sein Gesicht war so runzlig und wettergegerbt wie ein zerklüfteter Fels. Stille breitete sich um ihn herum aus, als die anderen Häuptlinge ihm zuhörten.
»Ein großartiger Plan, Drwyn«, sagte er mit seiner tiefen, ruhigen Stimme. »Wirklich großartig. Aber wie willst du ihn ausführen? Das Reich und seine Ritter sind nicht verschwunden. Sie sind noch da, sitzen in ihren steinernen Festungen im Gebirge und warten auf uns.«
»Die Festungen sind leer«, antwortete Drwyn. Ein vielstimmiges Zischen des Erstaunens breitete sich in der Versammlung aus. »Meine Sprecherin hat sie mir gezeigt, und weil ich mich versichern wollte, habe ich Späher dorthin geschickt. Es gibt keine Eisenmenschen mehr in den Bergen.«
»Kannst du das beweisen, Drwyn?«, fragte Eirdubh. »Kann deine Sprecherin es uns zeigen? Wir zweifeln ihre Worte nicht an, denn eine Sprecherin kann nicht die Unwahrheit sagen, aber wir sind nicht auf die gleiche Weise begabt wie die Sprecherinnen und müssen alles ganz deutlich gezeigt bekommen.«
»Ich kann es euch zeigen«, sagte Ytha kühl und gefasst. »Eure eigenen Sprecherinnen können es auch, wenn ihr sie darum bittet. Der See ist hier, benutzt sein Wasser.«
Drei der anderen Sprecherinnen tauschten rasche Blicke aus und berieten sich. Teia kannte zwei von ihnen. Die Gebiete des Weißseeclans und des Steinkrähenclans lagen in der Nähe, und sie überwinterten für gewöhnlich in den Bergen unweit der Crainnh. Sie nickten einhellig.
Die mittlere Sprecherin trat vor, ihren Stab in der Hand. »Wir kennen die Orte, von denen Häuptling Drwyn spricht«, sagte sie. »Wir werden eine Vision beschwören.«
Teia spürte, wie sie die Kraft an sich zogen und kanalisierten; es war, als hätte der Himmel plötzlich tief Luft geholt. Das Wasser des Sees kräuselte sich und beruhigte sich wieder, doch das Wasser in ihrer Schale warf unruhige Wellen, als sich die Vision der Sprecherinnen mit ihrer eigenen überlagerte. Dann wurde das Bild im Wasser wieder deutlich. Teia beugte sich tiefer über die Schale, damit sie die Einzelheiten besser erkennen konnte.
Die Sprecherinnen hatten ein Bild des An-Archen heraufbeschworen. Er war klar zu sehen, und die schneebedeckten Gipfel
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