Die wilde Jagd - Roman
sie benutzen konnte. Es dauerte fast eine ganze Stunde, bis sie endlich eine gefunden hatte, nachdem sie sich die Haut aufgescheuert und die Zehen mehrfach gestoßen hatte. Sie musste sich über einen scharfkantigen Felsen beugen, um ihre kleine Schale zu füllen, und diese dann vorsichtig zu einer Stelle tragen, wo sie bequem hineinschauen konnte.
Dieses Sehen war etwas, worauf sie durch Zufall gestoßen war. Sie hatte einmal versucht, die Zukunft vorherzusagen, und hatte dabei die Konzentration verloren. Ein Gedanke an ihre Mutter hatte das Wasser plötzlich mit Anas Gesicht erfüllt, und in Teias Kopf war die Stimme ihrer Mutter erklungen. Danach hatte sie sich mehr als einmal einen Spaß daraus gemacht, die Gespräche ihrer Schwestern zu belauschen, und dabei oft Dinge gehört, die nicht für ihre Ohren bestimmt waren, wie zum Beispiel das Gespräch über den Heiratsmarkt.
Wenn sie sich auf Ytha als Brennpunkt ihrer Visionen konzentrierte, bestand die Gefahr, dass die Sprecherin es sofort bemerkte und damit wusste, dass Teia sie belogen hatte. Der Gedanke daran, was dann geschehen mochte, reichte aus, um Teia einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Daher würde sie sich jemand anderen vornehmen, doch sie kannte von den Häuptlingen nur wenige gut genug, um ihn sich vorzustellen. Am Ende entschied sie sich für Eirdubh, den Häuptling der Amhain, einen schroffen, harten Kerl, an den sie sich vom letzten Auseinandergehen im Frühling erinnerte. Er hatte Drw angeboten, um Teia zu würfeln, und der alte Häuptling hatte daraufhin gelacht, als ob einer der alten Götter höchstpersönlich einen guten Scherz gemacht hätte.
Nach wenigen Augenblicken erfüllte das Bild des Amhain-Kriegers die Schale. Er runzelte die Stirn und rieb sich nachdenklich das Kinn. Als sie sich konzentrierte, hörte sie eine Stimme, die allmählich deutlicher wurde. Drwyn sagte gerade etwas, während der Rest der Versammlung ihm schweigend zuhörte. »… zu lange. Es ist Zeit, dass wir unsere Ehre wiederherstellen.«
»Wir wurden in der Schlacht besiegt, Drwyn«, wandte einer der Häuptlinge ein. »Die Unterlegenen müssen den Sieg anerkennen. Das ist das Gesetz des Krieges, das Gesetz der Clans.«
»Sie sind auf ihren Schiffen hergekommen und haben auf unserem Land gesiedelt«, entgegnete Drwyn. »Sie haben unser Wild gejagt, unsere heiligen Orte entweiht und unsere Traditionen mit Füßen getreten. Um unsere Ehre zu verteidigen, haben wir gekämpft und sind wie wahre Krieger gestorben, aber sie haben uns besiegt. Das steht außer Frage. Ihr Recht, hier zu siedeln, und der Friede, den sie uns aufgezwungen haben, jedoch nicht. Er war ein Schwindel. Und ich selbst fühle mich nicht an ihn gebunden.«
»Es wurde ein Ehrenwort gegeben«, warf ein weiterer Häuptling ein. Teia kannte weder ihn noch denjenigen, der zuvor gesprochen hatte. Sie waren beide blond, was für Clanangehörige sehr ungewöhnlich war, und hatten habichtähnliche, sonnengebräunte Gesichter. Sie hätten Brüder sein können.
»Ein Ehrenwort bindet nur so lange, wie die Linien fortgesetzt werden. Wo ist der Schwarzwasserclan jetzt?«, fragte Drwyn sie. »Seine Ehre ging vor siebenhundert Jahren verloren. Er hat keinen Platz mehr in dieser Versammlung.«
Der Kreis der Häuptlinge murmelte zustimmend, und ihre Sprecherinnen nickten gewichtig. Sie erinnerten sich an die gemeinsame Geschichte der Clans und daran, wie Gwlach vom Schwarzwasserclan zum Häuptling der Häuptlinge gewählt worden war, der die anderen in die Schlacht geführt und schließlich verloren hatte.
»Niemand aus Gwlachs Linie hat überlebt. Sein Wort ist nicht länger bindend.« Drwyn breitete die Arme aus, als wollte er sie einladen, seinen Vorschlag zu überdenken. »Die Eisenmenschen haben uns das Land gestohlen und dann hier und da stückchenweise wieder überlassen, wofür wir ihnen auch noch dankbar sein sollen. Wir sollen dankbar dafür sein, dass uns ein Bruchteil dessen zurückgegeben wurde, was rechtmäßig uns gehört.
Damals haben die Verräter ihre Ehre geopfert. Sie haben sie verkauft, um sich Frieden zu verschaffen, und damit ein Volk gedemütigt, das jahrhundertelang stolz und frei durch dieses Land gestreift war, bevor die Siedler kamen. Uns fällt die Aufgabe zu, dieses Unrecht zu beseitigen, denn sonst werden wir uns auf ewig die Verachtung unserer Kinder und Kindeskinder zuziehen.
Wir sind inzwischen doppelt so zahlreich wie damals; unsere Herden können uns nicht mehr
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